Autor
Die Lieder Dietmars von Aist sind in der Frühzeit des Minnesangs wohl in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden. Vor allem aufgrund ihrer formalen Unterschiedlichkeit bleibt jedoch ungeklärt, ob sie überhaupt von einem einzigen Dichter stammen (vgl. zuletzt Benz, S. 596). Die beiden Liederhandschriften B und C führen die Namensform Her Dietmar von Ast(e). Weder diese Benennung noch das Überlieferungsumfeld legen eine genaue Standeszugehörigkeit fest. Auf ein oberdeutsches Sprachgebiet verweisen in den Liedern wiederholte hauptsächlich im Bairischen reine Reime von Länge auf Kürze (vgl. B Dietm 14f. et al, C Dietm 12f., C Dietm 23, C Dietm 29 C Dietm 40, A Veld1 7). Urkundlich begegnet ein Ditmarus de Agasta (auch de Agist und ähnlich) zwischen ca. 1139 und 1161, 1171 wird er als bereits verstorben erwähnt (vgl. Grienberger). Er gehörte einem Freiherrengeschlecht an, das seinen Sitz an der Aist hatte, einem kleinen Donauzufluss. Die synkopierte Namensform wählt schon 1230 Heinrich von dem Türlin, der einen von Eist, / den guoten Dietmârn, in der Crône (V. 2438f.) erwähnt.
Überlieferung
Die Große Heidelberger (C) sowie die Weingartner Liederhandschrift (B) führen je ein Korpus Her Dietmar von Ast (C, 42 Strophen) bzw. Her Dietmar von Aste (B, 19 Strophen). Über B und C hinaus begegnen vereinzelte Parallelüberlieferungen unter anderem Namen (Heinrich von Veldeke, Reinmar, Heinrich von Morungen, Leuthold von Seven, Dem jungen Spervogel und Spervogel) in C, B sowie der Kleinen Heidelberger Liederhandschrift A. Namenlos wurde eine einzelne Liedstrophe in den Codex Buranus M als Abschlussstrophe des Lieds Transiit nix et glacies aufgenommen, eine Sangspruchstrophe ist im anonymen Freidank-Anhang h parallel überliefert.
Werk
Die Töne bzw. Lieder, die unter Dietmar von Aist überliefert sind, verweisen auf die Frühzeit des Minnesangs. Dabei sind sie inhaltlich, vor allem jedoch formal sehr unterschiedlich. Die B- und die C-Überlieferung weisen je eigene Züge auf, beide Korpora lassen sich jedoch nur schwer im Sinne einer ›Echtheitsdebatte‹ gegeneinander ausspielen.
Die zwei Dietmar-Korpora überschneiden sich mit fünf Tönen, deren Strophenformen heterogen sind und die Grenze zwischen dem sog. ›donauländischen‹ und dem ›rheinischen‹ Minnesang überschreiten. Zwei Kanzonenformen treffen auf eine paargereimte Langversstrophe sowie auf paargereimte Mischformen aus Lang- und Kurzversen. Vier der Töne integrieren Langverse in den Strophenbau. Den Aufbau dieser Langverse gewichten B und C verschieden: C hebt mithilfe des Reimpunkts ausschließlich den Endreim hervor, B markiert dagegen eher Kurzverse (siehe zum B-Korpus). Im Ton können Reimresponsionen zwischen den Strophen verbindungsstiftend wirken. Der inhaltliche Zusammenhang der Strophen im Ton ist weitgehend locker, teilweise kann er als Wechsel aufgefasst werden. Auffällig sind die zahlreichen Rollen sowie der Wechsel von bildhafter und eher abstrakter Darstellung. In B wird dieser B und C gemeinsame Bestand nur durch drei formal wie inhaltlich völlig abweichende Liedstrophen (B Dietm 17f. und 19) ergänzt, die in C plausibel unter Heinrich von Morungen geführt werden, zwei davon als Mittelstrophen des bekannten Lieds ›Leitliche blike unde grôsliche ru̍we‹ (C Mor 46-49).
Das über B hinausgehende C-Korpus unterstützt und erweitert die formale und inhaltliche Bandbreite der gemeinsamen Überlieferung. Neben weiteren mehrstrophigen Tönen bringt C zusätzlich vier einstrophige Lieder, darunter zwei im Minnesang einzigartige, vermutlich recht alte Frauenlieder (C Dietm 12 und 13) und einen Frauenpreis (C Dietm 24), ein Tagelied, ein Refrainlied sowie zwei Sangspruchstrophen (C Dietm 21 und 22). Durchgehend Dietmar ab- und eher Spervogel zugesprochen werden heute nur noch die beiden Sangspruchstrophen, von deren einer die »Überlieferunghäufigkeit und -streuung [zeigt], daß es sich um eine sehr ›erfolgreiche‹ Strophe gehandelt haben muß« (Schweikle, S. 55). Insgesamt ist das C-Korpus noch mehr als das in B durch die Vielfalt nicht nur der Strophenformen, sondern auch der Liedtypen gekennzeichnet.
Zur Darstellung der Langversstruktur: Wie oben erwähnt, sind Langverse in der Handschrift B nach einem anderen Prinzip durch Reimpunkte gegliedert als in C. Auch sind Langverse in unterschiedliche Strophenformen integriert. Als Darstellungsoptionen stehen in solchen Fällen Langverse mit Zäsur oder Kurzverse mit Waise zur Verfügung. Es ist eine Konvention der Forschung, für die ältere Lyrik zäsurierte Langverse zu wählen, erst in der Lyrik ›nach Dietmar‹ werden meist Kurzverse mit Waise abgebildet. Bei den formal heterogenen Liedern Dietmars von Aist kann die Wahl einer einzigen Darstellungsoption damit zu einem Instrument der literaturgeschichtlichen Homogenisierung des Korpus werden. Um dies zu umgehen, wählt die vorliegende Edition einen systematischen Zugriff: In Strophenformen, die mehr als einen Langvers aufweisen, werden Waisen vermieden und Langverse ediert. Dies betrifft die Lieder B Dietm 1 et al., B Dietm 4 et al., B Dietm 7 et al., C Dietm 22 et al., C Dietm 23 et al. und C Dietm 25. Bei Strophenformen hingegen, in welchen ein einziger Langvers eine Kurzversform durchbrechen würde, wird eine Waisenterzine angesetzt. Dies betrifft die Lieder C Dietm 19 et al. sowie C Dietm 24. Einzige Ausnahme von dieser Darstellungs-Regel ist B Dietm 12 et al. Dort ist nur der letzte Vers ein Langvers, wobei der Anvers in Str. C II und C III sowie B III entfällt. Eine Darstellung als Waisenterzine würde als ›Lücke‹ ins Auge fallen und auf Anhieb als Überlieferungsfehler wahrgenommen werden. Dies würde wiederum dem Bestreben der vorliegenden Edition widersprechen, die überlieferte Form des Liedes zu verstehen.