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Frauenlob (Heinrich von Meißen), ›Ich clage dir, may, ich clage dir, sumerwunne‹
f C M₁
f *Frl/81r 31
If *Frl/81r 31 = KLD 23 II 1
C HeinrBres 4
IC HeinrBres 4 = KLD 23 II 1
M₁ Namenl/1r 1
IM₁ Namenl/1r 1 = KLD 23 II 1
f *Frl/81r 32
IIf *Frl/81r 32 = KLD 23 II 2
C HeinrBres 5
IIC HeinrBres 5 = KLD 23 II 2
M₁ Namenl/1r 2
IIM₁ Namenl/1r 2 = KLD 23 II 2
f *Frl/81r 33
IIIf *Frl/81r 33 = KLD 23 II 3
C HeinrBres 6
IIIC HeinrBres 6 = KLD 23 II 3
M₁ Namenl/1r 3
IIIM₁ Namenl/1r 3 = KLD 23 II 3
f *Frl/81r 34
IVf *Frl/81r 34 = KLD 23 II 4
C HeinrBres 7
IVC HeinrBres 7 = KLD 23 II 4
M₁ Namenl/1r 4
IVM₁ Namenl/1r 4 = KLD 23 II 4
f *Frl/81r 35
Vf *Frl/81r 35 = KLD 23 II 5
C HeinrBres 8
VC HeinrBres 8 = KLD 23 II 5
M₁ Namenl/1r 5
VM₁ Namenl/1r 5 = KLD 23 II 5

Kommentar

Überlieferung: Die nahezu störungsfreie Überlieferung des Liedes in C steht gegen eigen­sinnige Versionen in der Frauenlob-Sammlung f und M₁ (vermutlich ebenfalls Heinrich Frauenlob zugeordnet [Material­schaden]). Beide sind zu C (und wohl auch zu Heinrich von Breslau) sprachlich weit distant, f scheint außerdem nachlässig geschrieben, was gleich mehrfach dazu führt, dass ganze Sätze oder Satzteile unverständlich bleiben; M₁ ist trotz niederdeutscher Sprache und Graphie näher am C-Text.

V,11 könnte eine Reminiszenz an C WAlex 2–6 et al. III,8 sein.

Form: Formal ist das C-Lied makellos; es repräsentiert eine Kanzonenstrophe nach folgendem Schema:

.5-a .4b .4c / .5-a .4b .4c // .3-d .5-d .4e .5-x .4e

Auffällig sind die gleichsam daktylischen Eingänge in I (ich klage dir), in C IV,2 ist swenne mit Apokope als swenn’ zu lesen, der Hebungsprall (oder die Pause) in C III,9 ist funktional (vgl. aber auch C II,8). Schlagreim in V. 8 hat nur Str. IV.

Dagegen sind fM₁ formal weniger strikt geregelt. f handhabt die Alternation loser als C (z. B. f III,2), in f IV sind die Stollen des Aufgesangs im Vergleich zu CM1 (und gegen die Reihenfolge der Allegorien in I) umgestellt. Z. T. sind die Metren der Verse schwer auflösbar (f I,8), einige Verse sind durch Varianz im Wortbestand zu kurz (f II,10) oder zu lang (f III,5, V,11). f IV,8f. sind nicht nur metrisch schwer beschädigt. Die Abweichungen von M₁ gegenüber der glatten C-Version sind im Einzelnen weniger drastisch als jene von f, dafür umso häufiger: metrisch heikle Änderungen der Wortstellung oder der Syntax, z. B. durch abweichende Modi der Negation (M₁ II,5, III,1, IV,2, IV,6, IV,10), ungelenke Daktylen (M₁ II,6), Versüberlänge, meist durch Worteinschub (M₁ II,10, III,4, V,7, V,11), gegenläufig dazu zu kurze Verse durch Wort- oder Silbenausfall (M₁ V,1, V,8), Apokopierung gegen die regelmäßige Alternation (M₁ III,1), Störung des Auftakts (M₁ IV,9). Lediglich in M₁ V,10 scheint die metrische Nachahmung des Ausrufs geglückt; das Übrige ließe sich als progrediente ›Prosaisierung‹ der Strophen begreifen.

Inhalt: Inhaltlich ist das Lied eine originelle allegorische Komposition, die einen Rechtsfall inszeniert: Das Ich ruft sieben Instanzen (Mai, Sommer­wonne, strahlende Wiese, blendender Klee, grüner Wald, Sonne, Venus) an und klagt das Leid, das ihm seine Liebe einträgt (I). Nachdem die Angerufenen sich beim Ich nach den Untaten seiner Lieben erkundigt und das Ich seine bittere Not damit umschrieben hat, dass seine Liebe ihm nicht mehr als wân-hulde gönnt (II), melden sich die Allegorien einzeln zu Wort und versagen der für schuldig Erkannten ihre Freuden (III–V/erster Stollen). Angesichts der Freudlosigkeit, die der Lieben droht, will das Ich aber lieber seinen eigenen Tod in Kauf nehmen; ein nochmaliges Angebot der Venus – die in C die Naturallegorien zu dirigieren scheint (ich schaffe, daz ir aller ...), während sie in fM₁ mit diesen im Bunde steht (wir schaffen) – schlägt das Ich erneut zu Gunsten des zarten lîbes seiner Lieben aus (V/zweiter Stollen und Abgesang).

Poetik und Varianz: Die Liedpoetik setzt (in C) auf subtile Ironie. Am deutlichsten ist dies bei den ›versagten‹ Wonnen der Natur, die dies nur zum kleineren Teil sind (die Wiese lässt die Vögel verstummen, der Wald wirft seine Blätter ab). Dass aber die Wiese sie mit ihrem Blumen- oder Blütenreiz fängt, dass der Klee sie dermaßen anstrahlt, dass sie blinzeln muss, dass die Sonne ihr Herz erhitzt – all dies sind eben keine Repressalien. Ambig ist der Mai, der seine Blütenpracht ihr zum (Schein)Schaden (nicht) verschließt. Der Witz gründet darin, dass zwar einem Liebenden der Entzug dieser Wonnen schmerzlich sein muss, dass aber einer Geliebten, die sich der Liebe oder dem Liebenden hartnäckig verweigert, die übermäßige Spende der lieblichen Reize der Natur stricto sensu ein Ärgernis sein muss bzw. ein unwillkommener amouröser Ansporn sein mag. Die revocatio des Ichs wäre dann weniger ein Inschutznehmen der Lieben als vielmehr das Beharren auf dem leidvollen Status quo. So besehen wird der irritierende Vers C III,10 zur ironischen Pointe des Lieds: ›Dafür soll sie uns hassen, die Gute (nämlich dass wir ihr das Beste geben, was wir haben)!‹

fM₁ ist gemein, dass sie unter Wahrung der Strophenreihenfolge die ironische Tiefe des C-Liedes verflachen. Die Reden der Naturallegorien sind z. T. deutlich platter (z. B. salwen M₁ statt schilhen Cf in IV,3, Sommer statt Sonne in f IV), die Allegorien widersagen der Geliebten statt umgekehrt (III,10), Venus wird mit den übrigen Naturallegorien auf eine Ebene gesetzt (V,8), Änderungen in M₁ V,7–9 zeugen davon, dass der Schreiber/Redaktor den Sinnzusammenhang nicht überschaut hat.

Florian Kragl

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