Autor
Johann I. wurde 1252 oder 1253 geboren und starb am 3. Mai 1294. Die Herrschaft über das Herzogtum Brabant trat er 1267 an. Von hier aus bestanden enge dynastische und kulturelle Beziehungen zum westlichen Nachbarn: Wenige Jahre nach dem Tod von Johanns erster Frau, einer französischen Prinzessin, heiratete seine Schwester den König von Frankreich. Auch im kulturellen Leben Brabants spielte das Französische eine wichtige Rolle. Schon Johanns Vater Heinrich III., der selbst französische Lieder dichtete (vgl. Henry), förderte Trouvères wie Adenet le Roi. Die Werke, die dieser im Auftrag der brabantischen Herzogfamilie verfasste, dienten mitunter propagandistischen Zwecken (vgl. Sleiderink, S. 77–80). Dasselbe gilt auch für ein etwa 1290 entstandenes mittelniederländisches »Heldenepos auf historischer Grundlage« (Goossens, S. 183) des Jan van Heelu über den Limburgischen Erbfolgekrieg (vgl. Schäfke, S. 105). Das in vier Felder geteilte Wappen mit dem Brabanter und dem Limburgischen Löwen, wie es auch die Miniatur in C zeigt, lässt sich allerdings erst ein paar Jahre nach Johanns Tod unter seinem Sohn Johann II. (gest. 1312) nachweisen (vgl. Klingner, S. 868).
Überlieferung und Edition
Nur der Codex Manesse überliefert die Herzoge Johans von Brabant (C, fol. 18r) zugeschriebenen Lieder, dem fürstlichen Rang des Sängers gemäß an neunter Stelle der Autorsammlungen. Das Œuvre ist ein späterer Zusatz zum sogenannten C-Grundstock (vgl. Kornrumpf, S. 286). Einige Strophen des Korpus (zumindest C Brab 16 und C Brab 24 25) wurden nachträglich hinzugefügt, weshalb von mehr als einer Quelle auszugehen ist. Das Autorbild zur Sammlung zeigt den Herzog als berittenen Kämpfer. Wappen und Helmzier entsprechen der heraldischen Beschreibung in einer um 1294 entstandenen Ehrenrede, deren Widmungsträger eindeutig Johann I. von Brabant (1252/53–1294) ist (vgl. Klingner, S. 867f.).
Das mit mnd. Wörtern durchsetzte Korpus stellte den Schreiber von C vor große Schwierigkeiten. Seine Versuche, sich auf unbekannte Wörter einen Reim zu machen, führen vor allem im Bereich der Getrennt- und Zusammenschreibung mitunter zu eigenartig anmutenden Lösungen. Die Edition versucht hier nicht, einen ›richtigen‹ mnd. Text herzustellen, sondern behält die Lösungen der Handschrift bei.
Werk
Johanns Œuvre besteht aus acht oder neun (vgl. die Liedkommentare zu C Brab 16 und C Brab 24 25) Minnekanzonen und einem der Pastourelle nahe stehenden Lied (C Brab 4-6). Die dem Konzept der Hohen Minne verpflichteten Kanzonen variieren das Grundschema eines von der Liebe tödlich verwundeten und der Willkür der Herrin unterworfenen männlichen Ichs.
Mit Ausnahme von C Brab 12 hat jedes Lied einen Refrain (zur vermeintlichen Ausnahme C Brab 16 vgl. den dortigen Liedkommentar), der formal meist mit dem Abgesang des strophischen Teils korrespondiert. Zahlreiche französische Lieder mit formal vergleichbaren Strophenformen (vgl. Willaert, S. 172) überliefert das sog. Oxford-Chansonnier (ein Teil von MS Douce 308 [Bodleian Library]), das Anfang des 14. Jahrhunderts wahrscheinlich in Metz entstanden ist. Willaert bezeichnet Johanns Formen als »Virelai-Balladen« (S. 46) und weist darauf hin, dass deren Ursprung in der (ost-)französischen Peripherie zu verorten sei. Der Terminus soll ausdrücken, dass es sich um eine Mischform handelt: Virelai und Ballade konsolidierten sich als zwei von drei formes fixes der spätmittelalterlichen französischen Lyrik tatsächlich erst im 14. Jahrhundert. Das klassische Virelai (vgl. Wilkins) hat einen Anfangsrefrain; der strophische Teil besteht aus einem zweiteiligen Aufgesang sowie einem Abgesang, der mit dem Refrain formal übereinstimmt (A // bb / a //A). Die klassische Balladenstrophe (vgl. Wilkins) hebt mit einem ebenfalls zweiteiligen Aufgesang an; Abgesang und Refrain können, müssen aber nicht formal identisch sein (aa / b // B*). Je nach Vorliegen eines Anfangsrefrains nähern sich Johanns Liedformen entweder dem Virelai oder der Ballade an; es handelt sich demnach in fast allen Fällen um Mischformen. Seine "Virelai-Balladen" (Willaert, S. 172) sind, bedingt wohl durch die räumliche Nähe zum Ursprungsgebiet, die ältesten in einer germanischen Sprache überlieferten.
Anlass zur Diskussion bietet der sprachliche Befund des Œuvres. Goossens kommt nach eingehender Analyse zum Schluss, dass durch das »südwestliche Hochdeutsch« des Codex Manesse »eine nach Osten gerichtete [mittelniederländische; Anm. d. Verf.] Sprache« durchscheint, »die mit dem nordwestlichsten Hochdeutsch zusammenhängt, aber deshalb noch kein Hochdeutsch ist« (S. 247). Allerdings enthalten manche Lieder (vgl. C Brab 10 11, C Brab 12, C Brab 13-15, C Brab 17-20) ungleich mehr mittelniederländisch anmutende Ausdrücke als andere. Mangels Parallelüberlieferung müssen Deutungsversuche dieses Befunds (für einen ausführlicheren Überblick vgl. ebenfalls Goossens, S. 237f.) spekulativ bleiben. Dies trifft auf die Annahme, die Texte, wie sie in C vorliegen, seien nachträglich sprachlich adaptiert worden, ebenso zu wie auf die Hypothese, die Lieder würden nicht von ein und demselben Autor stammen. Genauso gut denkbar ist aber, dass Johann selbst seine Lieder mit mehr oder weniger stark mittelniederländischem Einschlag verfasste oder sie, je nach Publikum, in unterschiedlichen sprachlichen Fassungen vortrug. Tatsächlich könnten der Sprachmischung sogar kulturpolitische Bestrebungen des in östliche Gebiete expandierenden Herzogs zugrunde liegen (vgl. Hausner, S. 313). Vielleicht kam sie aber auch rein um des dichterischen Effekts willen zum Einsatz (zur Barbarolexis als poetischem Mittel vgl. Gerritsen, S. 334f.).
Agnes Amminger