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Hiltbolt entstammt dem Ministerialengeschlecht der Schwangauer, benannt nach ihrem Stammsitz am oberen Lech bei Füssen (Genaueres zur Lage bei Meyer, S. 213f.). Was die Datierung angeht, werden in der Forschung bis heute drei verschiedene Ansichten vertreten: 1) Für eine Frühdatierung der Lieder auf ca. 1190–1210 spricht sich aus stilgeschichtlichen Gründen Worstbrock, Sp. 13, aus (ähnlich schon Bartsch, S. XXXV, und Burdach, S. 184); eine solche Frühdatierung hat allerdings mit dem Problem zu kämpfen, dass ausgerechnet zwischen 1182/83 und 1221 kein Hiltbolt von Schwangau bezeugt ist (urkundliche Zeugnisse bei Meves, S. 665-683, vgl. dazu Meyer, S. 198-219). 2) Für eine Identifizierung des Minnesängers mit einem zwischen 1221 und 1257 urkundlich bezeugten Hiltbolt von Schwangau, Ministeriale im Dienst des Grafen Albert III. von Tirol, spricht sich Mertens, S. 310f., aus (ähnlich schon von der Hagen, Bd. IV, S. 191 u. 764, und Kraus, S. 190f.). 3) Schließlich ist auch für eine Mischung des Hiltbolt-Korpus aus Liedern eines früheren und eines späteren Hiltbolt plädiert worden (Unlandt, S. 101, ähnliche Überlegungen bereits bei Bartsch, S. XXXV). Am unproblematischsten scheint der zweite der genannten Datierungsansätze, zumal eine Frühdatierung in ein Spannungsverhältnis zu dem deutlichen Neidhart-Bezug von C Hiltb 11-13 träte.
Älteren Versuchen, Hiltbolt einem schwäbischen bzw. spätstaufischen Dichterkreis – sei es einem solchen um Heinrich (VII.) (Naumann, S. 27-32, und Thurnher, S. 526f.) oder sei es in einem weniger eng umrissenen Sinn (Kuhn, S. 43 u. 80f., sowie mit Abstrichen Händl, S. 226f.) – zuzuordnen, wird in der neueren Forschung mit Skepsis begegnet (Meyer, S. 225-227, und Steinke, S. 16-18). Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die ursprünglich in welfischer Ministerialität befindliche Familie der Schwangauer nach dem Tod Welfs VI. im Jahr 1191 keineswegs zwangsläufig in staufische Ministerialität übergegangen sein muss; vielmehr ist bereits ein früherer Wechsel z. B. in den Dienst der Grafen von Tirol denkbar (Meyer, S. 218). Entsprechend zweifelhaft ist es, ob Hiltbolt tatsächlich der Status eines Reichsministerialen zugesprochen werden kann (so Bumke, S. 63 u. 65, und Pörnbacher, S. 346; kritisch dazu schon Worstbrock, Sp. 12).
Überlieferung
Mit Ausnahme des Liedes C Hiltb 16-18 et al. (dazu weiter unten) sind die insgesamt 23 Lieder des Hiltbolt-Korpus ausschließlich in B und C überliefert. B und C stimmen in Bestand und Reihung der Lieder wie auch der Strophen überein – mit zwei Ausnahmen: Die eine ist das Lied B Hiltb 1-2 et al., das B zweistrophig, C dagegen vierstrophig überliefert; die andere ist das Lied C Hiltb 47-49, das in B fehlt. Außerdem weist B zwischen B Hiltb 5 und B Hiltb 6 eine Lücke auf, die auf den Verlust von drei Blättern zurückgeht. Der Überlieferungsbefund legt es nahe anzunehmen, dass B auch hier der gemeinsamen Vorlage *BC gefolgt sein wird.
Ein gewisses Problem stellt das potentiell in die Lücke von B fallende Lied C Hiltb 16-18 et al. dar, das – mit jeweils unterschiedlichem Strophenbestand – auch in A und an anderer Stelle noch einmal in C überliefert, dort aber dem Markgrafen von Hohenburg (in A entstellt zu Rotenburg) zugeschrieben ist. Juethe, S. 9f., versucht durch Berechnung der besagten Lücke zu beweisen, dass dieses Lied in B nicht enthalten gewesen sein kann, und spricht es Hiltbolt ab, worin ihm die Forschung weitgehend gefolgt ist. Erst Schiendorfer, S. 76-85, hat wahrscheinlich gemacht, dass es sich bei der C-Version tatsächlich um ein Lied Hiltbolts handelt, das der Hohenburger lediglich übernommen und durch eine Zusatzstrophe parodiert habe.
Werk
Formale Elemente, die gern mit dem Minnesang des 12. Jahrhunderts in Verbindung gebracht werden, aber keineswegs zu einer Frühdatierung zwingen, sind die häufige Einstrophigkeit (gut ein Drittel aller Lieder) und ein romanisierender Stil (Mertens, S. 297f.). Letzterer zeigt sich in der Bevorzugung gleichversiger, oft durchgereimter Kanzonenstrophen, vor allem aber in der häufigen Verwendung des daktylischen Rhythmus (gut die Hälfte aller Lieder, teils mit gewissen Schwierigkeiten der genauen metrischen Bestimmung). Umstritten ist, ob dieses ›Romanisieren‹ lediglich auf das Vorbild der angeblichen ›Hausen-Schule‹ (Kuhn, S. 80) oder – zumindest teilweise – auch direkt auf romanische Vorbilder (Ranawake, S. 230f. u. 243; Unlandt) zurückzuführen ist.
Dass Hiltbolt formal und stilistisch sehr versiert ist, zeigen Reimkunststücke wie die Cobla retronchada in C Hiltb 30-32 und formale Experimente wie der Reimwechsel zwischen den Stollen in C Hiltb 7-10 und C Hiltb 22-23, die kalkuliert eingesetzte Variation der metrischen Formel in C Hiltb 11-13, die Verwendung einer nicht-stolligen, mit einer Waise beginnenden Strophe in C Hiltb 14-15 oder die Vertauschung von Aufgesang und Abgesang (?) in B Hiltb 9 et al. Zu erwähnen sind hier ferner der an Neidhart erinnernde Refrain von C Hiltb 11-13 sowie die Verwendung der Reienstrophe in den Liedern B Hiltb 9 et al. (?) und B Hiltb 13-14 et al. Auch die »gänzlich abgeleitete Sprache« (Worstbrock, Sp. 16) zeigt Hiltbolt, positiv gewendet, als jemanden, der souverän über den Minnesang seiner Vorgänger und Zeitgenossen verfügt (Mertens, S. 299-301).
Inhaltlich handelt es sich bei den Liedern Hiltbolts ganz überwiegend um Lieder der Hohen Minne, wobei C Hiltb 38 et al. als Anredelied an die Minne gestaltet ist. Von gegenseitiger Minne handelt B Hiltb 11-12 et al., sexuelle Erfüllung wird metaphorisch im ›Kranzlied‹ B Hiltb 3-4 et al. vorausgesetzt. Hervorzuheben sind außerdem das als Anregung für die Miniatur in C (fol. 146r, vgl. Walther, S. 94, sowie - mit gewissen Abstrichen - Zimmermann, S. 430-436) dienende Tanzlied C Hiltb 11-13 sowie das Minnekreuzlied C Hiltb 7-10. Kreuzzugsthematik klingt ferner auch in C Hiltb 14-15 an; ein weltlicher Herr als mit der Dame konkurrierende Instanz erscheint in C Hiltb 16-18 et al. (mit Motiv des Herzenstauschs zwischen Ich und Dame). Natureingänge bieten die das Korpus beschließenden Lieder B Hiltb 13-14 et al. und C Hiltb 47-49.
Justin Vollmann