Autor
Konrads von Würzburg Name ist reich belegt. Allein in den Lyrikhandschriften erscheint er sieben Mal, und zwar als Meister Chuͦnrat von Wu̍rzburg (C, fol. 383r), Cuͦnrat von Wrtzeburg (B3, fol. 1v), Conradt von Wurtzpurg (f, fol. 119v), Meyster Conrat von Wertzeburc (J, fol. 101rb), Conradus de Wirceburc (K, fol. 161v), Cunrad[] von Wirczburg (k, fol. 531ra) und Conrad von Wiertzpurg (m2, fol. 105r). Das Weiteren hat Konrad eine ganze Reihe seiner Werke mit einer Autorsignatur versehen, darunter auch seinen Minneleich, in dem er sich Kuͦnze da von Wu̍rzeburc (C KonrW 2, V. 122) nennt.
Da Konrad von Würzburg in vielen seiner Werk Gönner erwähnt, die urkundlich belegt sind, und da er auch selbst archivalisch und chronikalisch bezeugt ist, lässt sich sein Leben gut nachzeichnen. Der Namenszusatz ›von Würzburg‹ wird allgemein als Herkunftsbezeichnung aufgefasst. Das erste datierbare Werk wird 1257 oder 1258 entstanden sein, und zwar in Franken. Während ein Aufenthalt am Niederrhein unsicher ist (Spicker), führen seit den 1260er Jahren deutliche Spuren nach Straßburg – so preist die Spruchstrophe J KonrW 2 den dortigen Bischof Konrad III. von Lichtenberg – und Basel, wo sich Konrad schließlich niederließ. Eine Urkunde von 1295 nennt ihn einen Hausbesitzer, Mann einer Berchta und Vater zweier Töchter. Seinen Tod verzeichnen die ›Kolmarer Annalen‹ für das Jahr 1287, und wenn der Eintrag im Anniversarienbuch des Basler Münsters den Todestag notiert, ist er am 31. August dieses Jahres gestorben. In welchen der drei Jahrzehnte, in denen Konrad dichtete, seine lyrischen Werke entstanden sind, wissen wir – von einigen Sangsprüchen abgesehen – nicht.
Die mittelalterlichen Quellen nennen Konrad magister bzw. meister, nicht her. Er war also kein Adeliger, sondern ein Dichter, der für sich Gelehrsamkeit in Anspruch nahm, und zwar insofern zu Recht, als er Latein konnte und über eine entsprechende Bildung verfügte. Dass die Miniatur in C, die einen kostbar gekleideten Konrad beim Diktieren zeigt, kein Wappen enthält, passt hierzu. Die ›Kolmarer Annalen‹ bezeichnen den Dichter als vagus, ohne dass daraus zwingend auf eine Fahrendenexistenz zu schließen wäre.
Überlieferung
Insgesamt elf Handschriften bewahren lyrische Texte Konrads von Würzburg; sieben von ihnen schreiben sie dem Autor zu. Der Codex Manesse enthält zwei Leiche, 23 Minnelieder mit insgesamt 64 Strophen sowie acht Töne mit insgesamt 50 Sangspruchstrophen. Die übrigen Autorsammlungen enthalten lediglich Sangsprüche. Die späte Kolmarer Liederhandschrift überliefert drei Töne bzw. 38 Sangspruchstrophen, während die restlichen nur Hofton-Strophen kennen: die Jenaer Liederhandschrift zehn, die Wiltener Meisterliederhandschrift neun, die Basler Rolle drei, die Basler Liederhandschrift zwei und die Weimarer Liederhandschrift eine.
Weitere vier Handschriften überliefern lyrische Texte Konrads, ohne ihn als Autor zu nennen: das Berner Hausbuch drei Minnesangstrophen, die Niederrheinische Liederhandschrift eine Minnesang- und zwei Sangspruchstrophen, die Glossenhandschrift Clm 27329 und die Handschrift SBB, mgf 20 je zwei Sangspruchstrophen.
Die Überlieferung der Konrad’schen Lyrik setzt bald nach dem Tod des Autors ein und erstreckt sich über zwei Jahrhunderte und den gesamten deutschen Sprachraum. Die Konrad-Korpora der elf Handschriften unterscheiden sich allerdings sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht, und zwar erheblich. Eine Sonderstellung kommt der C-Sammlung zu, ist sie doch nicht nur die umfangreichste, sondern auch die einzige, die Texte sämtlicher Gattungen versammelt. Außerdem findet sich ein Gutteil der lyrischen Texte Konrads nur hier: Die beiden Leiche, 21 Minnelieder und 15 Sangspruchstrophen sind unikal im Codex Manesse überliefert. Schließlich dürfte dieser zusammen mit der Basler Rolle und der Basler Liederhandschrift auch der autornächste Zeuge sein, weshalb die lyrischen Texte, die sie bringt, sämtlich für echt gehalten werden. Die einzige Ausnahme stellt die Gebetsstrophe C KonrW 93 dar, die in einem Ton Friedrichs von Sonnenburg gehalten ist und wohl auch diesem zugehört.
Sieht man von den anonymen Korpora des Berner Hausbuchs und der Niederrheinischen Liederhandschrift einmal ab, die jeweils eines der Minnelieder kennen und damit für eine Überlieferungstradition des Konrad’schen Minnesangs jenseits von C eintreten können, erscheint Konrad von Würzburg in allen übrigen Handschriften nur als Sangspruchdichter. Während also die Leiche keine Parallelüberlieferung haben und die Minnelieder nur in zwei Ausnahmen, ist ein Gutteil der Sangsprüche im Hofton mehrfach überliefert, und zwar bis zu sieben Mal. Dahinter steht eine Kanonisierung Konrads als Sangspruchdichter – sie gipfelt darin, dass der Meistergesang Konrad von Würzburg unter die Zwölf alten Meister zählte –, die auch dazu geführt hat, dass Konrad-Texte produktiv geblieben sind. So ergänzen die Kolmarer Liederhandschrift und die Wiltener Meisterliederhandschrift einzelne altüberlieferte Sangspruchstrophen Konrads um neue Strophen zu drei- bis siebenstrophigen Baren. Diese Zusatzstrophen gelten als unecht; anders ist das bei dem Sondergut der Jenaer Liederhandschrift, bei dem es sich freilich nur um zwei Sangspruchstrophen handelt. Wichtig ist J aber vor allem deshalb, weil sie als einziger der älteren Zeugen eine Melodie überliefert, nämlich die zum Hofton; die Melodien zum Aspiston, zur Morgenweise sowie zum Ton XVIII finden sich erst in der Meistersinger-Überlieferung des 15. Jahrhunderts (Arlt; Brunner, S. 103–105).
Werk
Konrads lyrisches Werk ist sowohl vielseitig als auch markant. Bei den beiden Leichen handelt es sich um Solitäre, der eine mit religiöser Thematik, der andere mit weltlicher. Der religiöse Leich C KonrW 1 behandelt zentrale Inhalte des christlichen Glaubens – die Allmacht Gottes, die Dreifaltigkeit, die Inkarnation, die Jungfrauengeburt sowie die Erlösung von der (Erb-)Sünde durch den Opfertod Christi –, indem er sie ineinander verschränkt und miteinander verknüpft. Gefasst werden sie vor allem in Bilder aus der theologischen bzw. naturallegorischen Tradition, die teilweise in überraschender Weise kombiniert oder adaptiert werden. Der weltliche Leich C KonrW 2, der ›Venusleich‹, behandelt das Thema Minne in Gestalt einer Zeitklage. Die Minne liege nämlich danieder, so die kritische Diagnose des ersten Teils, die in die Allegorie der schlafenden Venus gekleidet ist, weil sich die Adeligen ausschließlich dem Rauben und Brennen hingäben. Die Hoffnung, an die vergangene Hochzeit der Minne anzuknüpfen, vermitteln im zweiten Teil die Anreden an Amor, Venus, die Hofgesellschaft und die Frauen, die alle darauf abzielen, die Minne und ihre Ausdrucksformen wie den Tanz wiederzubeleben bzw. wiederaufzunehmen. Als Tanz- übernimmt der Venusleich schließlich selbst die Funktion, der höfischen Gesellschaft die Minnefreude wiederzugeben.
Den Minnesang prägt das Allgemeine Minnelied (zu diesem Huber, S. 92–95; Hübner, S. 66–73; Meyer, S. 186–190; zur Tradition Worstbrock, S. 196–202), das an die Stelle der Bindung des Ich an die eine Dame eine neue Konfiguration stellt, in der eine pronominal nicht markierte Sprecherinstanz das Lob der Liebe und der Frauen schlechthin singt. Die Didaxe ersetzt die persönliche Betroffenheit. Der Aufbau ist schematisch – Natureingang, Liebesglück, Frauenpreis –; ihm entspricht die Dreistrophigkeit (mit der Ausnahme von C KonrW 61f.), ohne dass die Strophen- als strikte Themengrenze fungieren würde; die Typisierung reicht bis auf die sprachliche Oberfläche. Ihr steht die Variation insofern gegenüber, als die genannten drei thematischen Bestandteile nicht (nur) an der vorgesehenen Stelle oder auch gar nicht auftauchen können. Der Emotionswert, den die Allgemeinen Minnelieder vermitteln, ist die Freude, die sich auch dem Genuss der Liebe verdankt. Formseitig bevorzugen sie die Kanzonenstrophe mit Steg und drittem Stollen.
Nur wenige Minnelieder Konrads weichen von diesem Muster ab: Das Lied C KonrW 45–47 überführt das Muster des Allgemeinen Minnelieds in eine sangspruchhafte Ermahnung der Frauen, geizigen Adeligen ihre Liebe zu versagen. Auch das Lied C KonrW 55–57 tendiert deutlich ins Didaktische. Im Lied C KonrW 12–14 artikuliert ein Ich Gefühle und Gedanken, die dem Modell der Hohen Minne entsprechen, auf eine Weise, die die Frage aufgeworfen hat, ob es allegorisch zu lesen ist. Hingegen handelt es sich bei C KonrW 33–35, C KonrW 75f., C KonrW 77–79 und C KonrW 80f. um Lieder der Hohen Minne, wobei die Semantik stärker in Richtung Glück geht (Huber S. 96f., 101f.; Hübner, S., 74–83). Unter die Sonderfälle zählen schließlich die beiden Tagelieder C KonrW 36–38 und C KonrW 39–41 sowie die Liedstrophe C KonrW 85, die die Tageliedsemantik in eine Minnereflexion überführt.
C KonrW 52–54 und C KonrW 63–65 beginnen jeweils als Minnelied, um dann in einen Sangspruch umzuschlagen, der den Adeligen ihren Geiz vorwirft. Es verweist auf die Tendenz Konrads, die beiden Gattungen formal und inhaltlich zu überblenden (Cramer, S. 98f.; Kokott, S. 191f., 197, 199-204; Rettelbach, S. 162–164). Die eigentlichen Sangsprüche sind in der älteren Überlieferung zumeist einstrophig (die Ausnahme C KonrW 111f. et al. diskutiert Miedema), in der jüngeren treten sie zu Baren zusammen. Des Weiteren lassen sich die Sangsprüche nach ihrem Inhalt und nach ihrer Form einteilen. Von Konrad stammen sieben Sangspruch-Töne, die sämtlich dem Formtypus ›Kanzonenstrophe mit einfachem Steg und drittem Stollen‹ zuzuordnen sind (genauer Brunner). Drei von ihnen haben von den Meistersingern Namen erhalten und sind von ihnen weiterverwendet worden: der ›Hofton‹, der ›Aspiston‹ und die ›Morgenweise‹. Von ihnen ist der Hofton der mit Abstand am weitesten verbreitete, und zwar sowohl der Zahl der überlieferten Strophen als auch der Handschriften nach. Die übrigen vier Sangspruchtöne Konrads finden sich nur in C. Sucht man die Sangsprüche Konrads nach ihren Inhalten zu sortieren, stößt man auf eine ausgeprägte Unwucht. Denn die erdrückende Mehrheit von ihnen ordnet sich dem Thema ›Moraldidaxe‹ zu, wobei die am häufigsten eingeforderte Tugend die der Freigebigkeit ist (Kokott, S. 204–209, 218f.). Dazu kommen eine Handvoll Strophen mit theologisch-dogmatischen Inhalten sowie einige wenige Sprüche, die sich mit Minne, Politik oder Kunst beschäftigen. Legt man Form und Inhalt übereinander, zeigt sich, dass Konrad nur im Hofton andere als moraldidaktische Themen verhandelt hat.
Die Lyrik Konrads von Würzburg zeichnet sich nicht zuletzt durch ihre formale und sprachliche Virtuosität aus (Haustein; Rupp, S. 14 u. 16; Stridde, S. 208–221). Für Erstere stehen insbesondere Klang- und Reimkunststücke wie das Lied C KonrW 33–35, das Bar C KonrW 63–65, das ›Schlagreimlied‹ C KonrW 75f. oder die Tagliedstrophe C KonrW 85. Letztere prägt sich in vielen seiner Texte aus, und sie lässt sich immer noch am leichtesten auf den (umstrittenen) Begriff des ›geblümten Stils‹ bringen, der durch eine verdichtete Verwendung von Stilmitteln, insbesondere von solchen der bildhaften Rede, gekennzeichnet ist.
Mit einer gewissen Vorsicht wird man heute jene Versuche betrachten, die Eigenheiten der Konrad’schen Lyrik literatursoziologisch – etwa aus dem Baseler Kontext heraus (Cramer; kritisch hierzu Hoffmann, S. 188–194; Hübner, S. 73; Kokott, S. 179–197) – erklären zu wollen.
Konrad wurde von seinen Dichterkollegen breit rezipiert. Dafür sprechen die lobenden und tadelnden Äußerungen anderer Sangspruchdichter und die Nennung in zahlreichen Dichterkatalogen. Dazu kommen intertextuelle Bezüge auf Konrads Lyrik. Sänger wie der Kanzler verwenden den Typ des Allgemeinen Minneliedes, andere wie Frauenlob orientieren sich an seinem Formbau und an seinem Stil. Und die Meistersinger nahmen seine Texte auf und dichteten in seinen Tönen weiter (Rettelbach).
Manuel Braun