Die Manessische Liederhandschrift (Nachtragsschreiber ES) stellt vier Minnestrophen, die sämtlich auch anderweitig unter anderen Namen überliefert sind, zu einem Dichterkorpus zusammen, das unter der roten Überschrift Rubin von Rvͤdegêr steht, während die Vorschrift des Schreibers Rubin vn̄ Rvͤdeger lautet. In der Nachtragslage 36 (fol. 395–406), an deren Spitze dieses Korpus steht, folgen weitere Kleinstkorpora von der Hand desselben Schreibers (Kol von Niunzen, Dürner).
Dem Korpus ist eine Miniatur des zweiten Nachtragsmalers vorangestellt, die jedoch offensichtlich die Pastourelle im Nachbarkorpus des Kol von Niunzen wörtlich ins Bild setzt: der Sänger führt ein Mädchen in den Wald (C Kol 2: Er nam sie bi der wîzen hant, er fuͦrte si in den walt). Schon Melchior Goldast hat auf dem Blatt notiert: »Diese figur gehört zu dem nachfolgenden lied.« Denkbar ist folglich, dass die Autorbilder der beiden Korpora vertauscht wurden. Ein überzeugender Bezug der Kol-Miniatur auf eine der Strophen unseres Korpus ist jedoch schwer herzustellen; vgl. die Vorschläge von Koschorreck, S. 123, und Bulang, S. 144–146.
Die vier Strophen des Korpus sind auch in der Hs. A enthalten; die ersten drei davon unter Gedruts Namen, die vierte unter Niune. Auf ähnlichem Wege wie diese sekundären Sammelkorpora wird auch die in Rede stehende Zusammenstellung entstanden sein, d. h. sie dürfte entweder auf ein Repertoireheft fahrender Sänger zurückgehen oder aus ursprünglich anonymer Sammelüberlieferung stammen, die nachträglich unter einen Autornamen gestellt wurde. Woher der Korpusname stammt, ist völlig unklar. Es kann kaum ein Zufall sein, dass in der Jenaer Liederhandschrift zwei kleine Dichterkorpora unter den Namen Robin und Meister Rudinger direkt aufeinander folgen; diese enthalten jedoch keine Minnedichtung. Die Zuschreibung an einen Rubin könnte auch damit zu tun haben, dass einige Lieder Rubins in A unter Gedrut laufen.
Dem metrischen Bau nach handelt es sich um vier Einzelstrophen. Diese Strophen sind in der Parallelüberlieferung Teile umfangreicherer Lieder. Das Korpus gehört damit offensichtlich zum Typus der Minnesang-Florilegien, wie sie besonders in A erscheinen (Niune, Gedrut, Neidhart A), aber auch sonst nicht selten sind (I, P₁; vgl. Holznagel, S. 109). Trotz der Formverschiedenheit sind die Strophen jedoch mit gleichfarbigen Lombarden illuminiert worden; eine Praxis, die auch in anderen Korpora des Schreibers ES aufscheint, der dem Organisationsprinzip des Codex offenbar nicht mehr bis ins Letzte gefolgt ist.
Gemeinsamkeiten im Sinne einer Sammlungslogik, die die Kollektion trüge, sind kaum zu erkennen. Mit einer Kreuzliedstrophe (C 1), die in C ein zweites Mal unter Albrecht von Johannsdorf erscheint, und einer neidhartischen Klagestrophe (C 4), die jedoch nicht alt für Neidhart bezeugt ist, sowie einer Klage über das Unverständnis der Gesellschaft für den Sänger (C 2) und einer Klagestrophe (C 3), die in C ein zweites Mal am Beginn eines Liedes Wolframs von Eschenbach steht, sind die Genres weitgefächert.
Sonja Glauch