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Das Wappen, das die Heidelberger Liederhandschrift mit dem Dichter verbindet (s. u.), ist für einen Ritter in der Gegend um Luzern bezeugt, der 1275 sowie zwischen 1312 und 1331 urkundet und vermutlich einem ursprünglich rapperswilischen, dann habsburgischen Ministerialengeschlecht entstammt. Die genaue Zuordnung des Dichters zu einem der nach einem Turm benannten Geschlechter ist letztendlich nicht gesichert. Der große zeitliche Abstand zwischen dem ersten und den späteren urkundlichen Zeugnissen könnte zwei verschiedene Personen (Vater und Sohn?) nahelegen: »Literatur- und sprachgeschichtlich scheint die Identifizierung mit jedem der (mutmaßlich) zwei Namensträger möglich. [...] Die Frage, ob diesem Türner dann auch jener Winli-Leich [C Winli 25] zuzuschlagen sei, sollte davon aber möglichst getrennt werden« (vgl. Schiendorfer, Sp. 236). Zur Debatte um den Winli-Leich s. u.
Überlieferung und Werk
Unter Her Otto vom Tvrne (rubrizierte Bildüberschrift auf fol. 194r) bzw. H͛ Otte zem Turne (Marginalie auf fol. 194v) überliefert der Codex Manesse unikal 23 Strophen und einen Leich. Die Strophen sind zusammengefasst zu vier dreistrophigen Liedern (davon drei Kanzonen) und einem elfstrophigen, wobei die ersten beiden Lieder im Ton des ›Jüngeren Titurel‹ Albrechts stehen. Das Nachtragskorpus, geschrieben von Schreiber DS2, ist Teil der 18. Lage (vgl. Henkes-Zin, S. 17, 35).
Ob die mögliche Selbstadressierung des Dichters als Her tv̍rner (fol. 232vb) in dem unter Winli überlieferten Leich (C Winli 25) oder der Verweis auf den Dichter vō tune (fol. 68va) bei dem von Gliers in C Glie 3 auf Otto zum Turm zu beziehen sind, wie in der älteren Forschung erwogen, und ob daraus, wie etwa von Bartsch (SM), die Existenz zweier Dichter namens Otto zum Turm abgeleitet werden kann (ein älterer, Verfasser des unter Winli überlieferten Leichs, von dem von Gliers beklagt, und ein jüngerer, dessen Lieder C unter Otto führt), wird heute verneint (vgl. Schiendorfer, Sp. 236, sowie Zapf, Sp. 468).
Die vom dritten Nachtragsmaler N III angefertigte Miniatur zeigt die ritterliche Wappnung des Dichters: Gerahmt von zwei Frauenfiguren steht er in der Bildmitte auf einer grünen Wiese unter einem blühenden Baum. Der Schild, der ihm von der Dame rechts überreicht wird, zeigt als sprechendes Wappen einen schwarzen Turm auf goldenem Grund; der schwarze Kübelhelm, übergeben von der Dame links, ist auf der Spitze sowie an den Seiten mit je einer schwarzen Kugel versehen. Wappen und Zimier entsprechen dem historisch in der Zürcher Wappenrolle CEM TVRN zugewiesenen (dort oben links auf fol. 4r) (vgl. dazu auch Merz/Hegi, S. 126). Einen Turm zeigt auch das in der Forschung dem Geschlecht Ottos zugewiesene Wappen im Hause Loch in Zürich, hier allerdings weiß in blau. Zu den variierenden Tinkturen vgl. Merz/Hegi, S. 225f. sowie Tafel XXX. Die im Codex Manesse auf Ottos Korpus folgende, nicht ausgemalte Federzeichnung auf fol. 196r gehört vermutlich zu einem nachzutragenden Dichter, für dessen Lieder zwei Seiten (fol. 196v, 197r) frei gelassen wurden, oder sie ist dem auf fol. 197v beginnenden Gösli-Korpus zuzuordnen (so SM, S. CCXV; vgl. auch die Ähnlichkeit der Federzeichnung mit der Eingangsminiatur Göslis).
Inhaltlich fallen die bildliche Sprache sowie die originelle Verbindung traditioneller Topoi auf: Kraftlos wie ein durchslagen sumber (C Turm 7, V. 3) verhallt der Dienst des Sprechers ungelohnt. Sein muͦt erfreut sich am leuchtenden Anblick seiner Geliebten wie ein Falke sich geilent mit der sunne (C Turm 15, V. 3); jedem anderen, selbst einem Kaiser, würde ihr wunderschöner Anblick schaden (vgl. C Turm 15, V. 7f.). Sie wiederum ist seines hertzen spilnde sunne (C Turm 19, V. 5) und im Streben nach Ehre erhebt sich ihr muͦt wie ein Adler in die Lüfte (vgl. C Turm 20, V. 5). Der Sprecher erfreut sich an seiner Geliebten wie die Nachtigall am Frühling (vgl. C Turm 19). Während der Mai mit prunkvollen Kleidern geschmück wird, muss der Sprecher des Leichs ein sorgen kleit (C Turm 24, V. 79) tragen. An anderer Stelle wird topische Feuer- und Herzbildlichkeit mit Kaufmannsmetaphorik verbunden (vgl. C Turm 21–23); in ritterlicher Aventiure-Suche qualifiziert sich der Mann für die Minne (vgl. C Turm 1–3). Im zweiten Lied (C Turm 4–14) wird die Dame religiös überhöht und statt des klassischen Minnetodes steht die Aussicht auf ein Sterben vor Glück und eine Erhöhrung im Tod.
Sandra Hofert