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Walther von der Vogelweide, ›Die zwifelere sprechent, ez si allez tot‹
E Wa 165
I
IE Wa 165 = L 58,21
Überlieferung: München, UB, 2° Cod. ms. 731, fol. 177vb
E Wa 166
II
IIE Wa 166 = L 59,19
Überlieferung: München, UB, 2° Cod. ms. 731, fol. 177vb
E Wa 167
III
IIIE Wa 167 = L 59,28
Überlieferung: München, UB, 2° Cod. ms. 731, fol. 177vb
E Wa 168
IV
IVE Wa 168 = L 59,10
Überlieferung: München, UB, 2° Cod. ms. 731, fol. 178ra
E Wa 169
V
VE Wa 169 = L 59,10
Überlieferung: München, UB, 2° Cod. ms. 731, fol. 178ra

Kommentar

Überlieferung: Das Lied ist in fünf Handschriften überliefert, wobei nur C alle sechs Strophen kennt. Die Reihenfolge und der Strophenbestand differieren stark, die ersten beiden Strophen scheinen aber ihren festen Platz am Anfang des Liedes zu behaupten (mit Ausnahme von B, die Str. I nicht kennt). In A und E fehlt die spruchähnliche Strophe, in der has unde nit (C V,1) direkt angesprochen werden, in A außerdem die Strophe C VI et al. B überliefert vier Strophen, allerdings in zwei getrennten Liedern. Da zwischen dem Strophenverbund B Wa 74–76 und B Wa 82 nur ein Lied dazwischengeschoben ist, könnte es sich ggf. um eine unmarkierte Nachtragsstrophe handeln. f überliefert anonym nur die erste Strophe, mit zahlreichen grammatischen Ungenauigkeiten. Insgesamt ist der Textbestand der einzelnen Strophen verhältnismäßig stabil, doch finden sich immer wieder kleinere Abweichungen, wie etwa in C IV,1, wo die losen durch das stärker spezifizierende schamelosen ersetzt ist (zu Ungunsten der Metrik).

Form: .6a .4-b / .6a .4-b // .6c .2-d .6c .2-d .4c

Neunversige Stollen­stro­phen. Mehrfach finden sich Abweichungen vom metrischen Schema (etwa in C II,1 oder C IV,1). In E IV,4 ist mit der Verbform wil der Reim zerstört, ebenso in B II,9 mit der Form seht.

Inhalt: Frauen-/Gesellschaftskritik.

Ausgangspunkt ist in allen Fassungen (außer B) die pessimistische Eingangszeile, die düster auf die Welt, den verschwundenen Sang und damit den Verlust der höfischen Freude blickt. Demgegenüber tritt das Sänger-Ich positiv auf, macht für den Verlust der Lieder zwar ebenfalls die allgemeinen (nicht näher spezifizierten) Missstände verantwortlich, stellt aber für die Zukunft eine Wiederkehr der Sangeskunst (man kan noch wunder – C I,6) in Aussicht. Herzstück des Liedes ist Str. II (in ACE), in der mit allerlei philosophischem Gedankengut gearbeitet wird: Zunächst greift das Sänger-Ich die eigentlich naturphilosophische Aussage auf, dass alles Lebendige dem Wandel unterworfen sei (C II,3). Die Wiederentdeckung des Heraklit führte zu einer regen scholastischen Auseinandersetzung – insbesondere etwa durch Albertus Magnus und Thomas von Aquin – mit dem Hylemorphismus und vergleichbaren Positionen und wird auch in der Volkssprache immer wieder aufgegriffen. Hier wird der Gedanke aber sogleich ins Ethische gewendet, wo der Wandel als Begriff negativ konnotiert ist (und Konzepten wie staete und triuwe diametral gegenübersteht). Zunächst äußert sich das Sänger-Ich fast erstaunt darüber, dass, wenn alles dem Wandel unterworfen sei, dies auch für seine Minnedame gelten müsse. Es gebe aber nichts Negatives über sie zu berichten: ich kan aber niht erkennen, waz ir missestê, wan ein vil kleine (C II,5f.). Eine Kleinigkeit ist es aber freilich nicht: Die nun folgende scharfe Kritik ist keine persönliche Klage des unerhörten männlichen Sprecher-Ichs, sondern eine ins Allgemein-Ethische ausgreifende: Dass die Dame in ihrer Rolle als Minneherrin die Menschen nicht gemäß deren Verhalten behandelt (II,7), stellt grundsätzlich ihre ethisch-moralische Qualität in Frage, wird doch das seit der Antike etablierte ethische Prinzip, dass sich in der Forderungsformel ›den Freunden süß, den Feinden bitter‹ fassen lässt, auch in der höfischen Literatur immer wieder herbeizitiert. Dem stellt nun in C das Sänger-Ich seine eigenen Tugenden gegenüber: schame unde tru̍we (C III,6); verbunden mit einer Walther-typischen Spitze gegen die neuen Sitten, geriert sich das Ich als konservativ wertebeständig (ich bin niht nu̍we – C III,8). Str. IV, die in B auch allein steht, verstärkt die Absetzung von den losen bzw. schamelosen (C IV,1) am Hofe. Wohl mit Verweis auf Walthers ›Preislied‹ C Wa 200–205 erinnert der Sänger daran, dass er der Rühmer der tiutschen Frauen sei. Grob gesagt verteidigt das Sänger-Ich in Str. III seine ethischen Werte, in Str. IV sein künstlerisches Wirken. Allerdings kehrt es bereits am Ende von Str. IV zu den ethischen Betrachtungen zurück: Gut und Böse unterscheiden zu können, ist die zentrale ethische Fähigkeit, die den Menschen überhaupt erst zum Gut-Tun befähigt. Sie wird gerade im Minnekontext auch als eine der wichtigsten Tugenden des Mannes von den Frauen eingefordert (vgl. C Wa 151 et al.) Insofern rühmt das Sänger-Ich hier an sich selbst, was er der Minnedame zuvor abgesprochen hatte. Strophe C V, die sonst nur in B zu finden ist, fällt etwas aus dem Rahmen. Hier werden has unde nit (C V,1) sangspruchartig direkt angesprochen. In Strophe C VI kehrt das Thema der Kritik an der Minnedame zurück: Spielerisch wird zunächst darauf hingewiesen, dass nun auch von den positiven Eigenschaften der Frau gesprochen werden soll, gleich mit der Einschränkung, dass aber nur zwei Eigenschaften (die mit den beiden Tugenden des Sängers korrespondieren) genannt werden könnten. Die sind zwar zentral (schoͤne unde ere – C VI,6), werden aber durch das folgende inszenierte Zwiegespräch, das die Tugenden der Frau noch einmal zweifelnd in Frage stellt, sowie die lakonische Schlussbemerkung ›hie ist gelobt, lobe anderswa (C VI,9) möglicherweise zum zwîvellop degradiert.

Die drei­stro­phige Fassung in B endet mit dieser Schlusspointe, während in A und C zunächst die Frauenkritik abgehandelt wird und danach die Tugenden des Sänger-Ichs selbstbewusst verteidigt werden.

Die Fassungen A und E, denen die ›Spruchstrophe‹ C V fehlt, wirken thematisch geschlossener.

Björn Reich

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