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Überlieferung: Walthers bekanntestes Mädchenlied, das Lindenlied, ist in lediglich zwei Hss. überliefert. Beide Fassungen sind fast textidentisch, doch finden sich einige kleinere Abweichungen (II,5!).
Form: 2-a 2-b .4c / .2-a 2-b (.)4c // 4d 2x 4d
Neunzeilige Stollenstrophe mit Terzinen. Das vermeintliche schlichte Lied hat eine komplexe Metrik, die sich aus einer Mischung von alternierenden und daktylischen Versen zusammensetzt. Die Form ist daher nicht leicht anzugeben (ausführlich zur Metrik vgl. Kippenberg, S. 27–29). Insbesondere die a-Verse werden bisweilen als Zwei-, bisweilen als Dreitakter gelesen, entsprechend mit oder ohne Auftakte. Hinzukommen (einige wenige) metrische Abweichungen zwischen beiden Fassungen - am deutlichsten greifbar in V,6, wo in B durch den Zusatz âne spot wohl bewusst die Metrik aufgebrochen wird. Die Metrisierung des ›Tandaradei‹-Rufes (der einzige Klangrefrain Walthers) ist offen, zumal die Schreibweise nicht einheitlich ist. In der heutigen Rezeption wird dem Lied meist die Melodie einer afrz. Pastourelle unterlegt, die allerdings metrisch deutlich abweicht (ebd.).
Inhalt: Mädchenlied.
Obwohl das Lied häufig der Pastourellendichtung zugerechnet wird, ist diese Einordnung keineswegs unumstritten. Zwar passt der beschriebene idyllisierte Naturort zu dieser Gattung, doch ist das lyrische Ich nicht näher zu definieren: Ein Standesunterschied zwischen dem lyrischen Ich und dem friedel (II,3) wird nirgends eröffnet, so dass es sich durchaus auch um eine Dame, ja selbst um einen anderen Ritter (vgl. Kraß, S. 72), handeln könnte.
Unbestritten ist die hohe Qualität des Liedes, die nicht nur aus der metrischen Bewegtheit und der sehr bewusst eingesetzten Klanglichkeit resultiert, sondern auch aus dem Spielerisch-Verschmitzten, das den Grundtenor des Liedes ausmacht. Geschildert oder besser angedeutet wird ein bereits vollzogener Liebesakt zweier Liebender, doch entsteht in der Schilderung, die dieses Verhältnis offenbart und zugleich wieder in der Heimlichkeit belässt, ein Wechsel aus Mitteilsamkeit und Verschwiegenheit, ein kunstvolles Offenbaren und Verdecken (vgl. bes. Sievert, S. 135). Dadurch, dass der Sprechduktus nie in einen derben oder anbiedernden Ton abgleitet, wird das Lied ›zu einem frühen Zeugnis genuin erotischer Dichtung‹ (Kasten, S. 160). Indem das Publikum zum heimlichen Mitwisser des lyrischen Ichs gemacht wird, steht die Liebe nicht oppositionell zur höfischen Freude, sondern erzeugt zudem ein harmonisches Miteinander. Das Lied endet mit der Schlusspointe, dass lediglich ein kleines vogellin (IV,7) Zeuge des Aktes geworden sei, dass das Sprecher-Ich jedoch auf seine Verschwiegenheit vertraut (was wiederum durch die im Liedrefrain angedeuteten Vogelrufe – tandaradei – im Grunde konterkariert wird).
Björn Reich