Der Dichter stammte aus Raprechtswil (heute Rapperswil) am Zürichsee (St. Gallen) und stand vermutlich als Marschall in den Diensten der Grafen von Raprechtswil. Die Frage nach urkundlicher Identifizierung (in Urkunden von aus der 2. Hälfte des 13. / 1. Hälfte des 14. Jh.) ist umstritten und steht im Zusammenhang mit der unsicheren Datierung des Dichters (spätes 13. / frühes 14. Jh.). Zum Autor allg. vgl. Mertens sowie Zapf.
Unter Albrecht Marchſchal· vō Raprechtſwile· (rubriziert über dem Text, nicht über der Miniatur) überliefert der Codex Manesse unikal drei Lieder, die sich je aus drei Strophen zusammensetzen. Am rechten unteren Rand der Textseite (fol. 193r) stehen – vermutlich als Vormerkung nachzutragender Texte – die Anfänge zweier weiterer Strophen, die jedoch nicht näher identifizierbar sind (I Wil der sumer hinnan scheiden; II Langes miden von der suͤzen). Der Rest des Blattes ist leer. Geschrieben vom Nachtrags-Schreiber FS (mit zwei Nachtragsstrophen am Schluss), ist das Korpus Teil der Lage XVIII (vgl. Henkes-Zin, S. 35). Auffällig sind die mit Drolerien verzierten Initialen des Illuminators J5, ein Initialentyp, den der Illuminator mehrfach verwendet und der nach Renk, S. 112, »mit späteren Stadien der Hs. C verbunden« ist.
Die Miniatur auf der gegenüberliegenden Seite des Textes (fol. 192v), angefertigt vom ersten Nachtragsmaler, zeigt den Dichter in einer Turnierszene. Als Teil höfischer Unterhaltungskunst wird er von Frauen bewundert und von Musik begleitet. Kompositorisch vergleichbare Szenen bei Walther von Klingen (fol. 52r) und Heinrich von Frauenberg (fol. 61v), angefertigt vom Grundstockmaler, »unterscheide[n] sich im Stil, in der Farbgebung und in vielen Details« (Walther, S. 129).
Bei Albrecht ist es der linke Ritter, der im Moment seines Sieges dargestellt wird: Als gelber Ritter nimmt er den Großteil des Bildraumes ein. Gerade hat er seinen Gegner seitlich getroffen; sowohl dessen Lanze als auch die des Besiegten sind zerbrochen. Der Helm des gegnerischen Ritters liegt bereits am Boden, er selbst ist im Begriff von seinem Pferd zu stürzen, dessen Hinterhand niedergedrückt ist. Links im Vordergrund spiegeln zwei kleine Figuren den Kampf, möglicherweise Krigierer (vgl. z. B. auch die Miniatur zu Herzog Heinrich von Breslau), wobei die rechte mit einer Keule bewaffnete Figur die Oberhand gegen seinen am Kopf blutenden Gegner zu gewinnen scheint. Das ganze Geschehen wird von Damen beobachtet und von Spielleuten begleitet, die den oberen Bildteil einnehmen. Die Mauerzinnen, die sie von der Turnierszene trennen, gehen über in die Architektur des Bildrahmens.
Das Wappen des siegreichen Ritters ist drei Mal abgebildet: auf seinem Schild sowie zweifach auf der Kuvertüre. Es zeigt eine fünfblättrige silberne Rose mit grünem Butzen, Kelchblättern und Stengel auf schwarzem Grund, was – mit anderen Tinkturen – das Wappen der Grafen von Raprechtswil ist. Sein Helm ist eine in eine Kugel auslaufende Spitzmütze, gespalten von den Wappenfarben Schwarz und Silber. Die goldene Sattellehne mit rotem Löwen trägt das Wappen Habsburgs, sodass es wahrscheinlich ist, »daß die Miniatur erst nach 1295 bzw. 1309 entstanden sein kann, als Rapperswil an die Habsburg-Laufenburger gefallen war« (Walther, S. 129, zur allgemeinen Bildbeschreibung vgl. ebd.).
Alle drei Lieder des Albrecht von Raprechtswil rufen Naturmotivik auf, bringen die Schönheit und Farbenvielfalt des Sommers in Verbindung mit der tugendhaften Geliebten und parallelisieren den Sprecher mit den singenden Vögeln. Die Frauenpreisungen verbinden sich überwiegend mit einer von Freude erfüllten und hoffnungsvollen Stimmung des Ichs. Auffällig ist die bildhafte Sprache, wobei das Sprachbild des ersten Liedes besonders originell ist: In den Sternen der Geliebten (ihren Augen) versucht der Liebende, die Zukunft zu lesen (vgl. C Rapr 3). Im zweiten Lied ist es ihr Mund, der den Sänger einnimmt (vgl. C Rapr 4), im dritten steht das Bild des Herzens, das von der Dame beherrscht wird, im Mittelpunkt (vgl. C Rapr 8).
Formal sind die Lieder eng verwandt: Sie setzen sich aus jeweils drei elfversigen Stollenstrophen zusammen mit einem Schweifreim im Aufgesang und einer Kombination aus Kreuz- und umschließendem Reim im Abgesang. Als Grundform ließe sich angeben (vgl. den Kurzen Ton des Kanzlers): a a b / c c b // d e d d e, wobei sich die Kadenzen abwechseln (in Lied 3 ist der a-Reim weiblich, der b-Reim männlich etc., in den Liedern 1 und 2 ist der a-Reim männlich, der b-Reim weiblich etc.). Geht man auch von klingender Lesung aus, sind alle Verse vierhebig. Am stärksten verändert Lied 2 das Grundmuster: Hier entspricht der e- dem b-Reim, sodass der Abgesang anreimt; V. 7 ist dreihebig; zahlreiche Binnenreime variieren das Reimschema.
Sandra Hofert
Incipit | Hs. | Strophen | Editionen |
C | 1 2 3 | SMS 14 1 I | |
C | 4 5 6 | SMS 14 2 I | |
C | 7 8 9 | SMS 14 3 I |