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Die Große Heidelberger (C) sowie die Weingartner Liederhandschrift (B) überliefern je ein Korpus zu Her Dietmar von Ast (C) bzw. Her Dietmar von Aste (B). Die Identifizierung mit einer historischen Person ist unsicher, möglicherweise ist jener Ditmarus de Agasta (auch de Agist und ähnlich) gemeint, der zwischen ca. 1139 und 1161 urkundet; 1171 wird er als bereits verstorben erwähnt (vgl. Grienberger). Er gehörte einem Freiherrengeschlecht an, das seinen Sitz an der Aist hatte, einem kleinen Donauzufluss. In der ›Crône‹ verweist Heinrich von dem Türlin 1230 auf einen von Eist, / Den guoten Dietmarn (Knapp/Niesner, V. 2438f.), wählt hier also die synkopierte Namensform.
Die Lieder Dietmars von Aist sind jedenfalls wohl in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden. Auf ein oberdeutsches Sprachgebiet verweisen wiederholte hauptsächlich im Bairischen reine Reime von Länge auf Kürze (vgl. B Dietm 14 et al.: verlan : gewan, B Dietm 15 et al. und A Veld/32r 7: han : kan, C Dietm 12, C Dietm 13 und C Dietm 40: getan : man, C Dietm 23 et al.: han : gewan, C Dietm 29: undertan : stu̍rman). Vor allem aufgrund der formalen Unterschiedlichkeit der Lieder ist dabei unsicher, ob sie überhaupt von einem einzigen Dichter stammen (vgl. z. B. Benz, S. 596).
Die ungewöhnliche Dichterminiatur in der Großen Heidelberger und der Weingartner Liederhandschrift zeigt im Kern das gleiche Motiv: einen Mann, der Kaufmannskleidung trägt, und einen Esel, beide auf einer Wiese (vgl. Leidinger, S. 64–72). In B treibt der Mann mit einem Stock in der linken Hand den Esel an; einen zweiten Stock, auf den er seine Augen richtet, hält er mit der rechten Hand in die Luft. Aus einem Korb, den der Esel trägt, ragen fünf Spitzen hervor, möglicherweise Spindeln oder Weberschiffchen. In C ist die Miniatur szenisch zu einer Art »Liebeshandel« (Vetter, S. 60) erweitert: Am linken Bildrand steht eine Dame in einem Burgtor, Dame und Mann sind einander zugewandt. Über ihnen hängen Waren an einer Stange, die teilweise erotisch konnotiert sind (zwei Gürtel, drei Beutel und ein nicht eindeutiger Gegenstand, eventuell eine runde Tasche oder ein Spiegel). Die Dame greift mit der linken Hand an einen der aufgehängten Gürtel, der Mann hält einen kleinen Gegenstand der Dame entgegen, eventuell eine Gürtelschnalle oder ein Webeplättchen, seine linke Hand zeigt auf den Esel.
Als Bruch mit der Kaufmannsdarstellung weisen im oberen Drittel des Bildes Wappen und Helmzier in beiden Handschriften die adlige Abkunft des Dichters aus. Das Wappentier – ein Einhorn, das mit einem Dietmar von Aist historisch nicht in Verbindung zu bringen ist – scheint dabei im Zusammenspiel mit dem Esel den Bruch zwischen Wappen und Dichterbild ironisch zu verstärken. In C kann zusätzlich als Kontrast wahrgenommen werden, dass die Dame im höfischen Rahmen der Burg abgebildet ist, während der Mann auf der Wiese steht.
Die Forschung hat zahlreiche mögliche Konnotationen angedacht: Verbildlicht der durch die Blickrichtung der Figur betonte Ast in B den Namensbestandteil von Aste? Ist ›Dietmar‹ hier nicht als ›der im Volk Berühmte‹, sondern in ungewöhnlicher Volksetymologie als ›Volkspferd‹ verbildlicht (vgl. Koschorreck, S. 113)? Ist das Motiv eine Anspielung auf Händler aus Asti? Solche Deutungsansätze wirken unterschiedlich plausibel, die durch Gegensätze bestechende Darstellung scheint jedoch zu unterschiedlichen Assoziationen einzuladen – eventuell auch schon die Zeitgenossen.
Überlieferung
Das Dietmar-Korpus in der Großen Heidelberger Liederhaftschrift C führt 42 Strophen, jenes in der Weingartner Liederhandschrift B 19; mit 16 Strophen, die sie in der gleichen Reihenfolge tradieren, stimmen die Korpora überein. Sie gehen wohl auf eine gemeinsame bebilderte Vorlage *BC zurück.
In Handschrift B, deren Sammelschwerpunkt neben Reinmar und Walther besonders auf den »großen Dichterpersönlichkeiten aus der Frühzeit des Minnesangs« liegt (Holznagel, S. 128), gehört das Dietmar-Korpus mit seinen 19 Strophen zu den kleineren Sammlungen. Jene drei Strophen des B-Korpus, die über den gemeinsamen BC-Bestand Dietmars hinaus gehen, führt C unter Heinrich von Morungen (B Dietm 17f. et al., B Dietm 19 et al.), was unter produktionsästhetischen Gesichtspunkten die wahrscheinlichere Zuordnung ist.
C führt das Dietmar-Korpus (genau wie das direkt vorangehende Kürenberg-Korpus) in der VII. Lage, als Teil des schmalsten Untersegments der Grundsammlung (Henkes-Zin, S. 145). Neunzehn Strophen sind hier unikal überliefert, nämlich einmal die beiden einstrophigen Frauenlieder C Dietm 12 und C Dietm 13, die in den gemeinsamen BC-Bestand inseriert sind, einmal eine Reihe an Liedern, die an späterer Stelle steht, bestehend aus der Werbestrophe C Dietm 24, dem inhaltlich eher locker zusammenhängenden, Langverse und Kurzverse mischenden Ton C Dietm 25–28, dem Refrainlied C Dietm 29–31, dem Tagelied C Dietm 32–34, dem Dialoglied C Dietm 35–37 und dem Wechsel C Dietm 38–40.
Der weitere Zusatzbestand von C im Vergleich mit B ist in C selbst und anderen Handschriften anderen Dichtern zugeordnet (Reinmar, Heinrich von Morungen, Leuthold von Seven, dem Jungen Spervogel und Spervogel) oder namenlos überliefert, was ähnlich jedoch bereits für wenige Lieder des CB-Korpus Dietmars gilt.
So bildet die erste Strophe von B Dietm 1–3 et al. im Codex Buranus M die Abschlussstrophe des lateinischen Lieds Transiit nix et glacies. Die Kleine Heidelberger Liederhandschrift kennt den Namen Dietmars nicht, überliefert jedoch zwei der BC-Lieder unter Heinrich von Veldeke (A Veld/32r 5–7 und A Veld/32r 8–10), und zwar mit je abweichendem Strophenbestand. Das Lied, mit dem das C-Korpus Dietmars schließt (C Dietm 41f.), tradiert A unter Leuthold von Seven (A Leuth 15f.).
Zwei Sangspruchstrophen des C-Korpus Dietmars (C Dietm 21 und C Dietm 22) führt A unter dem Jungen Spervogel, C unter Spervogel. C Dietm 22 ist darüber hinaus im anonymen Freidank-Anhang der Handschrift H überliefert, B tradiert die Strophe unter Reinmar; die »Überlieferungshäufigkeit und -streuung [zeigt], daß es sich um eine sehr ›erfolgreiche‹ Strophe gehandelt haben muß« (Schweikle, S. 55). Mit Reinmar verschränkt sich die Dietmar-Überlieferung zudem im Fall eines Minnelieds (C Dietm 19f.), das in C unter Dietmar ein Ich-Lied, in B unter Reinmar ein Wechsel ist, und eines einstrophigen Frauenpreises (C Dietm 23). Die Lesarten und die Strophenreihenfolge schließen bei den Sangsprüchen die (Junger) Spervogel-Überlieferung gegen die Überlieferung bei Dietmar (bzw. Dietmar/Reinmar) zusammen (vgl. Tervooren, S. 191f.). C Dietm 19–23 ist damit eine interessante Strophenstrecke im C-Korpus Dietmars, die durch Parallelüberlieferungen hauptsächlich mit (Junger) Spervogel und Reinmar gekennzeichnet ist.
Helmut Tervooren und Regina Weidemeier haben unter anderem am BC-Bestand Dietmars herausgearbeitet, dass in C systematisch Reimkorrekturen durchgeführt worden sind: Wo B unreine Reime aufweist, sind sie in C häufig rein (vgl. Tervooren/Weidemeier, Henkes-Zin, S. 145–152). Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die beiden unikal in C überlieferten Frauenlieder C Dietm 12 und 13 nicht an das Formideal von C angeglichen wurden und als Endreime zahlreiche Assonanzen aufweisen. Die beiden Lieder sind zudem über ihre rote Initialfarbe dem vorangehenden Ton C Dietm 7–11 angeschlossen, während sonst die Initialfarbe pro Ton wechselt. Die unübliche Behandlung der zwei Lieder unterstreicht, dass sie vom Formideal der Manessischen Liederhandschrift abweichen.
Den Aufbau von Langversen gewichten B und C offenbar verschieden: C hebt mithilfe des Reimpunkts ausschließlich den Endreim hervor, in B zeigt sich dagegen die Tendenz, auch die Zäsur mit Reimpunkt zu versehen (vgl. B Dietm 7–11), also auch reimlose metrische Abschnitte auszuzeichnen. Die Reimpunktgestaltung in B kann dabei offenbar auch durch die Syntax beeinflusst sein (vgl. die Parallelüberlieferung B Reinm 27 / C Dietm 23).
Werk
Das BC-Korpus Dietmars von Aist scheint mit seiner Mischung von Langversstrophen- und Kanzonenformen, eventuell auch von Rollenliedern und Ich-Liedern einen Übergang zu repräsentieren, wie er für den Minnesang insgesamt angenommen wird: von einer vermuteten heimischen Tradition zur romanisch beeinflussten Lyrik oder – so die räumliche These – vom sog. ›donauländischen‹ zum ›rheinischen‹ Minnesang.
B Dietm 1–3 et al. und B Dietm 4–6 et al. wirken vor der Grundsituation der Trennung zweier Geliebter fast wie Experimente der Rollenrede. Im ersten Fall folgt auf eine Frauenstrophe eine Dialogstrophe, deren letzte beide Verse genau wie Str. III unklar lassen, ob ein männliches Rollen-Ich spricht oder das unspezifische Ich von Ich-Liedern. Im zweiten Fall richten sich zwei Geliebte im Wechsel an einen Boten, auch hier ist in Str. III unklar, wer spricht (eine der beiden Rollen, ein unspezifisches Ich oder gar der Bote?). Formal mischen beide Lieder Lang- und Kurzverse in sechsversigen Reimpaarstrophen. Der Ton B Dietm 7–11 et al. versammelt drei hinsichtlich von Rollen und Sprechhaltungen unterschiedliche Strophen (Natureingang, Treueversicherung, gnomische Strophe) sowie zwei Strophen (Uf der linden obene und Es dunket mich wol tusent jar), die sich als Wechsel und über die Raum-Zeit-Thematik enger zueinander stellen. Formal liegt eine reine Langversstrophenform vor, jede Strophe besteht aus zwei Reimpaaren. B Dietm 12–14 et al. kann als Ich-Klage aufgefasst werden, wobei der inhaltliche Zusammenhang der Kanzonenstrophen sehr locker wirkt. B Dietm 15f. et al. schließlich ist ein Wechsel, in dem die Geliebten erneut ihre Trennung beklagen, formal liegt eine Kanzone vor. Wiederholt wirken Reimresponsionen zwischen Strophen eines Tons verbindungsstiftend, der inhaltliche Zusammenhang von Strophen ist weitgehend locker, Möglichkeiten von Liedtypen (Wechsel, Ich-Lied) scheinen eher umspielt zu werden.
Mit den Strophen, die über den gemeinsamen BC-Bestand Dietmars hinaus gehen, weisen beide Korpora B und C je eigene Züge auf.
In B folgen zwei Lieder, die in C unter Heinrich von Morungen geführt werden. B Dietm 17f. entspricht in C den beiden Mittelstrophen des vierstrophigen Lieds über das Singen, Leitliche blike unde grôsliche ru̍we (C Mor 46–49), wobei auch die B-Version den bekannten Umbruch von Klage zum Frauenpreis aufweist. B Dietm 19, worin das Ich beklagt, dass sich das eigene Herz, die Schönheit der Geliebten und die Minne gegen den Sprecher verschworen haben, ist auch in C unter Heinrich ein einstrophiges Lied. Unter Dietmar verstärken beide Lieder den Klagegestus des B-Korpus.
Das C-Korpus ist noch stärker als der gemeinsame BC-Bestand durch die Vielfalt nicht nur der Strophenformen, sondern auch der Liedtypen gekennzeichnet. Dabei fallen mehrere Einzelstrophen auf, die sich zu Zweiergruppen zusammenschließen. Dies gilt für die zwei im Minnesang einzigartigen, vermutlich recht alten Frauenlieder (C Dietm 12 und C Dietm 13), deren Strophenformen metrisch recht frei wirken und die von Wort- und Klangresponsionen gekennzeichnet sind, außerdem für die beiden Sangspruchstrophen C Dietm 21 und C Dietm 22 sowie schließlich für den Frauenpreis C Dietm 23 und die Werbestrophe C Dietm 24, die beide Liebesfreude thematisieren. Den beiden Sangspruchstrophen geht dabei das Minnelied C Dietm 19f. voran, das eventuell mit seiner starken Ausrichtung auf die Gesellschaft den gnomischen Gestus der Spruchstrophen vorbereitet. Formal und inhaltlich scheint der unikal überlieferte Ton C Dietm 25–28, in dem sich Langverse und Kurzverse mischen und dessen Strophen inhaltlich eher locker zusammenhängen, eher an den BC-Bestand Dietmars anzuschließen. Neue Anreize setzen dagegen das Refrainlied (C Dietm 29–31), das Tagelied (C Dietm 32–34) und zwei Lieder, in denen es ums bî ligen geht: das Dialoglied C Dietm 35–37 und der Wechsel C Dietm 38–40, in dem das Ich droht, die Beziehung zur Geliebten offenzulegen. Das Korpus schließt mit der Minneklage C Dietm 41f. et al., in deren beiden Strophen das personifizierte Herz im Mittelpunkt steht. Das C-Korpus Dietmars versammelt damit vielfältige Möglichkeiten des Singens über Liebe, wobei sich teilweise Kleingruppen ausmachen lassen, die den Eindruck einer ansatzweisen Ordnung der Heterogenität erwecken.
Zur Darstellung der Langversstruktur in der vorliegenden Edition: Wie oben erwähnt, sind Langverse in der Handschrift B nach einem anderen Prinzip durch Reimpunkte gegliedert als in C. Auch sind Langverse in unterschiedliche Strophenformen integriert. Als Darstellungsoptionen stehen in solchen Fällen Langverse mit Zäsur oder Kurzverse mit Waise zur Verfügung. Es ist eine Konvention der Forschung, für die ältere Lyrik zäsurierte Langverse zu wählen, erst in der Lyrik ›nach Dietmar‹ werden meist Kurzverse mit Waise abgebildet. Bei den formal heterogenen Liedern Dietmars von Aist kann die Wahl einer einzigen Darstellungsoption damit zu einem Instrument der literaturgeschichtlichen Homogenisierung des Korpus werden. Um dies zu umgehen, wählt die vorliegende Edition einen systematischen Zugriff: In Strophenformen, die mehr als einen Langvers aufweisen, werden Waisen vermieden und Langverse ediert. Dies betrifft die Lieder B Dietm 1 et al., B Dietm 4 et al., B Dietm 7 et al., C Dietm 22 et al., C Dietm 23 et al. und C Dietm 25. Bei Strophenformen hingegen, in welchen ein einziger Langvers eine Kurzversform durchbrechen würde, wird eine Waisenterzine angesetzt. Dies betrifft die Lieder C Dietm 19 et al. sowie C Dietm 24. Einzige Ausnahme von dieser Darstellungs-Regel ist B Dietm 12 et al. Dort ist nur der letzte Vers ein Langvers, wobei der Anvers in Str. C II und C III sowie B III entfällt. Eine Darstellung als Waisenterzine würde als ›Lücke‹ ins Auge fallen und auf Anhieb als Überlieferungsfehler wahrgenommen werden. Dies würde wiederum dem Bestreben der vorliegenden Edition widersprechen, die überlieferte Form des Liedes zu verstehen.
Simone Leidinger