Lachmann und Haupt (MF/LH) führten die Lieder des Kaisers Heinrich unter ›Namenlos‹ und argumentierten u. a. mit dem rhetorischen Kaisertopos im ersten Lied (s. Werk): »besonders das verzichten auf die krone [...] konnte[], oberflächlich betrachtet, einen fahrenden mann, dem erlauchte vorgänger in seiner kunst gewiss willkommen waren, auf den gedanken bringen dass hier der kaiser Heinrich rede« (S. 228). Doch bereits Vogt (MF/V) ist von Heinrichs Autorschaft überzeugt; heute gilt die Identifikation des Dichters mit dem Staufer Heinrich VI. (1165–1197), Sohn Friedrichs I. Barbarossa und Vater Friedrichs II., als allgemein anerkannt. Einen Überblick über ältere Forschungspositionen zur Autorschaftsfrage gibt Schweikle, Sp. 679.
Vermutet wird, dass die Lieder vor seiner Heirat mit Konstanze von Sizilien (1186) entstanden sind, vielleicht im Zusammenhang mit dem Mainzer Hoftag 1184, auf dem seine Schwertleite vollzogen wurde (vgl. Kasten, S. 228). 1169 wurde Heinrich zum deutschen König und mit seiner Hochzeit 1186 zum König von Italien. Zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches ist er erst 1191 gekrönt worden, sodass die Bezeichnung ›Kaiser‹ im Titel seines überlieferten Liederkorpus auf eine spätere Abschrift oder Korrektur zurückgeführt werden kann (vgl. Schweikle, S. 507). Für Weiterführendes zu Heinrich VI. als historischer Figur vgl. Ehlers sowie Kölzer/Schulze (mit Quellen- und Literaturverzeichnissen). Einflüsse von Sängern, die im Umkreis des Stauferhofes auftraten, wie Bernger von Horheim, Bligger von Steinach, Friedrich von Hausen, Otto von Botenlauben oder auch Ulrich von Gutenburg, auf die Dichtung Heinrichs sind denkbar.
Das Korpus von Kaiser Heinrich eröffnet sowohl die Große Heidelberger Liederhandschrift C als auch die Weingartner Liederhandschrift B. Beide Überlieferungszeugen führen acht Strophen in gleicher Reihenfolge und mit nur wenigen Abweichungen im Textbestand, zusammengefasst zu drei Liedern, einem vierstrophigen und zwei zweistrophigen. In C ist das Korpus Teil der Ursammlung und gehört zum Grundstock-Segment A; im Inhaltsverzeichnis wurde der Eintrag von KEiſer Heinrich nachträglich eingefügt (vgl. Henkes-Zin, S. 20f., 33).
Die Eingangsminiaturen in B und C zeigen den Dichter, der Ikonographie des rex et propheta folgend, als mittige Zentralfigur; herrschaftlich thronend (in C deutlich auf einem Thron mit Thronpodest sitzend) ist er dem Betrachter frontal zugewandt. Gekleidet in ein blaues bzw. grünes Gewand mit rotem Mantelumhang trägt er in der rechten Hand ein goldenes Lilienzepter, in der linken ein Spruchband, sodass die (in B mit Lilien-, in C mit Laubkrone) gekrönte Figur als Kaiser und Dichter zugleich ausgewiesen wird. In C finden sich zudem im oberen Bildbereich ein Schild, der das herrschaftliche Adlerwappen zeigt, sowie ein gekrönter Helm mit Adlerschmuck. Als ritterliches Attribut ist der Figur in C ferner ein auf dem Boden stehendes Schwert beigegeben, das sie als höchsten Repräsentanten des Ritterstandes ausweist. (Zur Bildbeschreibung vgl. auch Frühmorgen-Voss, S. 189f., sowie Walther, S. 2.)
Die Stellung Heinrichs in der Gattungstradition wird in der Forschung unterschiedlich bewertet: Während Schweikle, S. 507, den Liedern »ganz den Stempel der Frühzeit« zuspricht, differenziert Kasten, S. 632: »Die Kompositionen stehen inhaltlich noch weitgehend in der Tradition des ›donauländischen Minnesangs‹ (1150/70), weisen aber formal schon Spuren romanischen Einflusses auf«. Mit Schnell, S. 68, würde ich eher das Miteinander verschiedener Traditionen sowohl auf inhaltlicher als auch formaler Ebene betonen: Die Strophenformen weisen zahlreiche Freiheiten auf. Das erste Lied ist eine vierstrophige Kanzone mit variierender Taktfüllung und Kadenz; die beiden anderen Lieder lassen sich sowohl als Langzeilen- als auch als Kanzonenstrophen auffassen und zeigen gleichzeitig Unregelmäßigkeiten in der Taktfüllung sowie in der Kadenzgestaltung. Die überlieferten Lieder besitzen also die Lizenz zur formalen Variation, wobei insbesondere die Lieder 2 und 3 deutlich machen, dass sich Langvers und Kanzonenform nicht gegenseitig ausschließen, sondern formgeschichtlich eng miteinander verschränkt scheinen (vgl. dazu auch Leidinger, S. 35).
Inhaltlich thematisieren die Lieder eine Liebe, die sowohl körperlich als auch geistig auf Gegenseitigkeit beruht, gleichzeitig finden sich verschiedene Motive der hohen Klage. Dabei wird immer wieder das Verhältnis von Nähe und Distanz aufgerufen: In BC K Heinr 1–4 sendet der Sprecher seiner Geliebten, die er im Herzen und im Sinn bei sich trägt, aus der Ferne ein Lied als Gruß und ersehnt das Wiedersehen mit ihr. Der aufgerufene Kaisertopos spielt dabei in besonderer Weise mit der literarischen und außerliterarischen Rolle des Ichs. In dem folgenden Wechsel (BC K Heinr 5 6) hebt der männliche Sprecher die Tugenden seiner Geliebten hervor und beteuert, dass sein beständiges Herz immer bei ihr ist; auch die Frau versichert ihre Liebe, leidet zugleich aber an neidischen Rivalinnen. Im dritten Lied (BC KHeinr 7 8) steht das Leid an der bevorstehenden Trennung neben dem ununterbrochenen Beisammensein im Inneren der Partner. Die zweite Strophe dieses abschließenden Liedes (BC KHeinr 8) kann sowohl einem männlichen als auch einem weiblichen Sprecher-Ich zugeordnet werden, wodurch die in der Strophe aufgerufene veredelnde Funktion des Partners, welcher in den Gedanken des Ichs wohnt, als Kippbild wechselseitiger Erhöhung lesbar wird. Zu den selbstreflexiven Momenten in den Liedern Heinrichs und der Thematisierung von Sänger und Gesellschaft vgl. Schnell, S. 69f.
Sandra Hofert
Incipit | Hs. | Strophen | Editionen |
C | 1 2 3 4 | MF 5,16 | |
C | 5 6 | MF 4,17 | |
C | 7 8 | MF 4,35 |