Autor
Gottfried von Neifen gehört zu den wenigen Dichtern, deren Wappen in der Miniatur der Manessischen Liederhandschrift – drei übereinanderliegende silberne Hifthörner mit roten Schnüren – tatsächlich mit einem Familienwappen in Verbindung gebracht werden kann (vgl. Bumke, S. 41). Eine Familie von Neifen hatte ihren Sitz in Winden, also zwischen Nürtingen und Reutlingen, was gut zur in C Neif 113–116 erwähnten stat ze Winden (I,4) passt. Gottfried von Neifen ist zwischen 1234 und 1279 urkundlich gut bezeugt (vgl. Meves, S. 354). Er, sein Bruder und sein Vater hatten Kontakt zu Kaiser Friedrich II. und gehörten offenbar zu den engsten Vertrauten König Heinrichs VII. (vgl. Meves, S. 354f. und 358f.). Die ältere Forschung hat das Gottfried-Korpus als teilweise unecht bezeichnet, so rechnet z. B. Carl von Kraus nicht nur zahlreiche Lieder, sondern auch einzelne Strophen oder Zeilen, deren Merkmal eine »glatte Physiognomielosigkeit« sei (von Kraus, S. 88), sogenannten Nachdichtern, einer ›Neifen-Schule‹, zu.
Die Bezeichnung von Nîfen wurde in späterer Zeit offenbar »fast sprichwörtlich verwendet« (von Kraus, S. 87), eventuell als »Genre-Name[]« (Tervooren, S. 186) aufgefasst. Vielleicht geht darauf zurück, dass die Möserschen Bruchstücke unter van nyphen ein Lied führen, das in der Parallelüberlieferung einstimmig Reinmar zugeschrieben ist (vgl. C Reinm 118–121 et al.). Warum der ›Basler Rotulus‹ unter Der von nifen einen Marner-Spruch (1Marn/6/8b) überliefert, ist rätselhaft.
Überlieferung
Das Korpus Gottfrieds von Neifen ist mit 190 Strophen in 51 Tönen eines der umfangreichsten Korpora der Manessischen Liederhandschrift. Die Überlieferung bricht nach C Neif 190 ab, wohl der ersten Strophe eines verlorenen Lieds. Darunter vermerkt Melchior Goldast: Allhie mangelt. Ähnlich notiert er auf fol. 34 v am unteren rechten Blattrand auf Rasur: Alhie iſt ein blat außgeſchnitten worden. Durch den Blattverlust wird C Neif 45–47 mitten in der dritten Strophe abgeschnitten, während C Neif 48 die letzte Strophe eines sonst verlorenen Lieds sein dürfte.
Die Streuüberlieferung ist klein und beschränkt sich auf drei namenlose beziehungsweise gemischte Korpora: C Neif 6–10 ist dreistrophig sowohl in der Parzival-Handschrift I als auch deren Abschrift I1 parallel überliefert; darüber hinaus führt das sogenannte ›Berner Hausbuch‹ P1 fünf Strophen der tonähnlichen Lieder C Neif 92–95 und C Neif 110-112, wobei es die Toneinheiten vermischt.
Werk
Fast alle der 51 Lieder Gottfrieds von Neifen sind von Jahreszeitentopik geprägt, was den Einfluss Neidharts vermuten lässt. So beginnen 25 der Lieder mit einem Sommernatureingang und 18 bzw. 19 mit einem Winternatureingang: C Neif 92–95 führt die Jahreszeitentopik erst in der dritten Strophe, was die Parallelüberlieferung durch Strophenumstellung zum Natureingang ›korrigiert‹. Die Jahreszeitentopik führt auch C Neif 117–119 erst in der dritten Strophe, Sommermetaphorik bringt C Neif 82f. am Schluss der zweiten Strophe und stellt die übliche Argumentation damit auf den Kopf; ohne Jahreszeitenallusion bleibt die Einzelstrophe C Neif 48, vermutlich die fünfte eines durch Blattverlust verlorenen Liedes.
Am häufigsten sind fünfstrophige Lieder, auch der C-Schreiber hat für die meisten Lieder des Korpus Fünfstrophigkeit angenommen und bei weniger Strophen für Nachträge Raum gelassen (vgl. den Kommentar zum Korpus). Auffällig sind sieben bloß zweistrophige Lieder, sechs davon mit Natureingang (C Neif 82f., mit Natureingang: C Neif 128f., C Neif 143f., C Neif 145f., C Neif 163f., C Neif 165f. und C Neif 167f.; zu den drei letzten dieser Lieder vgl. von Kraus, S. 150): Vier jener Lieder haben zudem die äußerst gleichmäßige und als ›Gemeinplatz‹ »in allen mittelalterlichen Literaturen« (Kuhn, S. 52) begegnende Strophenform des siebenversigen Vierhebers (C Neif 82f., C Neif 145f., C Neif 163f. und C Neif 165f.). Kuhn (ebd.) bemerkt zu den vier Liedern, sie seien im Gottfried-Korpus »noch formelhafter im Inhalt als gewöhnlich, ohne den Ansatz eines Gedankengangs [...] – man könnte sie, wenn überhaupt für echt, für eine bei ihm besonders anspruchslose ›Gattung‹ halten, oder auch für ›Skizzen‹ zur Festhaltung von Melodien, schließlich auch für ›Tanzlieder‹ oder ›Tanzeinlage-Strophen‹.« Bisher bleibt offen, welchem Produktions- und Rezeptionszusammenhang die überlieferte Gestalt dieser Lieder zu verdanken ist. Je für sich genommen, ist den Kurzliedern ihr vermeintlicher Fragmentstatus jedenfalls nicht abzulesen.
Gottfrieds Lieder leben von ihrer Bildlichkeit und ihrem formalen Klangspiel. Zentral ist dabei das Motiv des roten Munds der Geliebten, das einen derart hohen Wiedererkennungswert hat, dass der Taler es in einem seiner Lieder als Merkmal Gottfrieds heraushebt: Der Nîfer lobt die frowen sîn und ir rœselehtez mündelîn (Schiendorfer, 25 3 II,7f.). Der rote Mund der Geliebten korrespondiert in vielen Liedern mit den zahlreichen, oft farbig ausgemalten Naturdetails; das vielfältige Bedingungsverhältnis von Jahreszeit und Liebesthema ist in diesem Farbspiel motivisch verdichtet. Fünf der Lieder Gottfrieds sind Refrainlieder (C Neif 128f., C Neif 158f., C Neif 160–162, C Neif 175–179, und C Neif 188f.), häufig arbeitet er mit äquivoken oder grammatischen Reimen, mit Binnen- und Pausenreimen, die die Strophen über Endreime hinaus durchformen, oder mit Körnern, die klanglich ein strophenübergreifendes verbindendes Element sind. Reimartistik und Klangspiele (vgl. insbesondere Stock 2016, Stock 2012 und Stock 2004) ergänzen die farbenfrohe Metaphorik um eine charakteristische Klangästhetik.
Sechs der Lieder im Gottfried-Korpus lassen sich dem sogenannten ›genre objectif‹ zurechnen. Als Pastourellen oder pastourellenartige Lieder werden insbesondere das Lied über die Garnwinderin (C Neif 113–116; mit Winternatureingang), die Wasserträgerin (C Neif 125-127) und die Flachsschwingerin (C Neif 160–162) diskutiert (vgl. Herweg). Das Flachsschwingen begegnet als erotisches Motiv dabei auch in drei Strophen von Minnekanzonen (vgl. C Neif 4, 9 und 105). Obszön deutet das sogenannte ›Büttnerlied‹ (C Neif 153–157) Handwerksmetaphern um, vermutlich Fragment geblieben sind das schwankhafte sogenannte ›Pilgerlied‹ (C Neif 158f.) und das sogenannte ›Wiegenlied‹ (C Neif 188f.; mit Sommernatureingang), das auf Neidharts Sommerlieder referiert.
Simone Leidinger