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Otto von Botenlauben, ›Mir hat ein wip herze unde lip‹ (A 4) Lied zurückDruckerTEI Icon

Kommentar

Überlieferung: In A und C. Der Codex Manesse stellt Leiche sonst prinzipiell an den Anfang (oder selten den Schluss, vgl. Bertau, S. 14) der Korpora; dieses Prinzip ist einzig im Botenlauben-Korpus nicht befolgt worden. In C ist der Beginn des Leichs gegenüber der vorausgehenden Strophe optisch nicht gekennzeichnet; man wird annehmen dürfen, dass der Schreiber bzw. die Vorlage den Leich bereits mit C 15 beginnen lassen wollte. Auch in A ist unklar, wo der Leich beginnen soll und ob die vorausgehende Strophe dazugerechnet wurde. Grundsätzlich ist die Bauform dieser Strophe der ersten Versikelgruppe nicht unähnlich, weshalb die Idee, sie an den Leich anzubinden, nachvollziehbar ist.

Apfelböck, S. 129 bringt für C eine »bewußte Zusammenstellung ›Lied-Leich-Lied‹, die ein bestimmtes Vortragsritual des Grafen wiedergibt«, ins Spiel, auch um die irreguläre Mittelstellung zu erklären. Auch die graphische Binnengliederung ist in C im Vergleich zur sonstigen Praxis der Handschrift (dazu vgl. Holznagel, S. 46–49) sehr reduziert, wenn auch anscheinend durchaus überlegt plaziert (Majuskeln bei V. 16 = D, 27 = D, 35 = G, 55 = J, 57 = J, 61 = J, 63 = J, 67 = L, 80 = N, 92 = P), während A rubrizierte Majuskeln zur Markierung teils sehr kleiner Strukturen einsetzt.

Für die in A gegenüber C fehlenden Versikel mutmaßte von Kraus, S. 374, der Schreiber habe sie ausgelassen, »um mit dem Raum« auf dem Blatt »auszulangen«, da es sich um den letzten Text des Grundstocks (und dieser Schreiberhand) handelt. Tatsächlich könnte es der ursprüngliche Plan gewesen sein, f. 40 (das letzte Blatt der letzten Lage) als Schmutzblatt freizulassen.

Form: Leichstruktur. Zur Strukturanalyse ist anzumerken, dass Otto passim eine Technik der Versfugung einsetzt, die auf weibliche, auf -e endende (d. h. elisionsfähige) Reimwörter eine vokalisch beginnende Senkungssilbe folgen lässt (niemals eine konsonantisch beginnende Senkungssilbe!). Diese Stellen wurden für die Analyse als weiblich ohne folgenden Auftakt gewertet, weil sie strukturell dazu äquivalent sind (man vgl. V. 51f. mit 53f.), auch wenn sie vielleicht eher mit apokopiertem Reimwort vorzutragen wären. Es könnte dies ein Indiz dafür sein, dass das Kadenzgeschlecht baulich keine wirkliche Rolle spielt, sondern dass für den Dichter der Faktor der Synaphie bzw. Asynaphie wichtiger war.

Der Leich ist fast gänzlich aus zweitaktigen und (selten) viertaktigen (schlag-)reimenden Einheiten gebaut. Nur der letzte Versikel (R) schert mit vorwiegend dreitaktigen Versteilen aus. Der lockere Bau erscheint ebenso von fortschreitenden Variationen wie von Wiederholungen von Strukturen zu leben. So scheint E eine steigernde Wiederholung von D zu sein, H eine Erweiterung von G. Das Prinzip der Versikelwiederholung wird dadurch stellenweise unterlaufen, so finden K in K1 und O in O1 jeweils ein Pendant mit einer Schlusserweiterung um zwei Takte (Prinzip der Endendifferenzierung vert/clos?). Unikale Versikel sind L, M, Q und R. L könnte eventuell auch als aus zwei variierenden Hälften L+/L1 zusammengesetzt verstanden werden, wobei es dann so wirkt, als sei der Beginn des zweiten Halbversikels durch Versverdoppelung erweitert. Während Q verderbt überliefert sein dürfte, ähnelt R, der Schlussversikel, strukturell dem restlichen Text wenig und fehlt darüber hinaus in Hs. A. Ein weiterer Ausfall in A (oder Zufügung in C?) ist das erste Auftreten des Abschnittes JJKK1 (V. 55–60); dazu vgl. oben unter Überlieferung.

Auch in der Makrostruktur könnte teilweise das Prinzip zu erkennen sein, dass ›Wiederholungen‹ zugleich erweitert sind (CCC DD EE / CCC (BB C1C1) DD E1E1 oder FF / FFF / FFFF). In der Makrostruktur zeichnet sich ein Einschnitt nach V. 30 ab, da der Text bis dort (Versikeltypen A bis E) komplett gefugt gebaut ist. Von V. 31 bis V. 66 treten neue Versikeltypen auf, in denen ungefugte Verse dominieren.

Letzte Gewissheit ist in der Strukturanalyse nicht zu erzielen, weil einige Versikeltypen ebenso als eigenständig wie als Variation eines vorgängigen Typs gelten könnten. Es erhöht die Unsicherheit weiter, dass einige Stellen ebensogut Überlieferungsirrtum wie Strukturexperiment sein könnten: Erweiterungen L [oder L1] und P1 um einen Vers?

Ältere Gliederungsvorschläge sind bei von Kraus, S. 371 nachgewiesen.

Nach Kuhn, S. 132f., gehört der Leich zum Lai-Typ, der gekennzeichnet ist »durch fortgesetzte Wiederholung, vor allem kurzer Reimfolgen mit längerer Schlußzeile (Lai-Verse), bei freier, wenig rationaler Wiederkehr kleinerer Gruppen, z. T. aber auch mit Spuren größerer Zusammenfassung« (S. 131).

Inhalt: Minneleich. Nachdem die ersten 71 Verse den von einer Frau ausgehenden Liebeszwang beteuern und beklagen, bringt das Ich ab Versikel M das Thema des Singens und die Rezipienten als ›Zeugen‹ des Frauenpreises ins Spiel. Nur in C steigert sich die Dringlichkeit der Liebesbitte am Schluss in der direkten Du-Apostrophe des selig[en] wib[es]. Die hohe Reimdichte zieht die Aufmerksamkeit stark auf klangliche und formale Aspekte, wohingegen Inhalt und Aussage des Leichs blass und konventionell wirken, was in dieser Gattung im 13. Jh. zwar nicht die Regel, aber auch keine Ausnahme darstellt. Die textlichen Differenzen zwischen A und C – zahlreich, aber meist semantisch belanglos – bekräftigen diesen Eindruck.

Sonja Glauch

Kommentar veröffentlicht am 13.08.2023.
Gehört zur Anthologie: Leich
 A Botenl 4 = KLD 41 XI 1Zitieren
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