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›Alte clamat Epicurus‹ (M Namenl/92v 1–6) DruckerTEI Icon

Kommentar

Überlieferung: in M. Strophe VI ist die Anfangsstrophe des reich überlieferten ›Palästinaliedes‹ Walthers von der Vogelweide. Die Lesarten der Strophe sind in den Handschriften z. T. stark variant.

Form:

Lateinische Strophen: 8 8 8 8 8 8 ‖ aa bb cc

Str. III hat nur einen einzigen Reimklang.

Deutsche Strophe: 4-a 4b / .4-a 4b // 4c 4c 4c

Kanzonenstrophe. Die lateinischen Strophen und die deutsche Strophe weichen hinsichtlich Reimschema und Verszahl voneinander ab, die Verslängen sind hingegen vergleichbar. Die lateinischen Strophen werden nach Walthers Lied entstanden sein, wohl im ersten Drittel des 13. Jh. (Müller, S. 110).

Weder der lateinische noch der deutsche Liedteil weist Neumierungen auf, was in der Gruppe der Lieder mit deutschen Strophen selten ist. Die in Z1 überlieferte Melodie des Palästinaliedes wurde (trotz abweichenden Strophenbaus) auch auf die lateinischen Strophen übertragen (z. B. von Korth, S. 198f., Müller, S. 96). Melodiewechsel innerhalb eines Liedes wäre möglich, er ist nachgewiesen für CB 131 (vgl. CB/V). Wären die Strophen I–V auf dieselbe Melodie wie Strophe VI gesungen worden, würde das den komischen Effekt des Lieds enorm steigern, da die Parodie bereits nach den ersten Tönen und nicht erst beim Sprachwechsel deutlich würde (vgl. Mertens, S. 272). Zur Melodie des Palästinalieds und dessen Vorläufern vgl. Brunner, S. 54*ff.

Inhalt: Fress- und Sauflied, das die epikureische Lebensweise zum Thema hat. Epikur, als Patron der Faulenzer und Säufer, ruft den Gott Venter an, der in Strophe V selbst zu Wort kommt. Durch die Eingangsformulierung Alte clamat und eingestreute Bibelallusionen wird das Folgende zur blasphemischen Prophetenrede. Ordnung spendet der typische Tagesablauf eines Epikureers. Der Verfasser von CB 211 kannte und benutzte wohl die ›Ars versificatoria‹ des Matthäus von Vendôme (vgl. Smolak, S. 248f. mit motivischen und sprachlichen Parallelen).

Die deutsche Strophe bzw. der Anfang des Palästinaliedes schildert die Eindrücke des Sprechers – wohl: eines Kreuzfahrers – vom Heiligen Land, in dem das göttliche Wirken erfahrbar war und ist. Im Kontext von CB 211 wird aus der Preisrede des Pilgers diejenige des Gottes Venter bzw. seines Parteigängers, Palästina zum epikureeischen Schlaraffenland.

Von CB/HS und CB/V abweichende Sprecherverteilung nehmen Müller und Smolak vor: Müller interpretiert auch Strophe VI als direkte Rede des Gottes Venter. Smolak dagegen legt die Strophen I–IV Epikur, Strophe V dem Gott Venter in den Mund und lässt die Sprechinstanz von Strophe VI offen (vgl. Müller, S. 110, Smolak, S. 250ff.).

Vollmann versteht die deutsche Strophe als Korrektiv der lateinischen, sie stelle der epikureischen abschließend und moralisierend die ›richtige‹ Weltsicht entgegen (vgl. CB/V). Doch dürfte es maßgeblich an der Lektürehaltung, ggf. auch an kontextuellen Faktoren (wie Vortrag, Melodie) liegen, in welche Richtung die Ironie wirkt. Die kritische Funktion, die Vollmann Strophe VI zuschreibt, erfüllen möglicherweise die folgenden Versus CB 212–214, die sich teils wie relativierende Kommentare zu vorausgehenden Liedern ausnehmen (vgl. CB/V, S. 911).

Theresa Höf‌le / Florian Kragl

Kommentar veröffentlicht am 27.03.2024; zuletzt geändert am 06.05.2024.
Gehört zur Anthologie: Erzähllied
 M Namenl/92v 1 = CB 211,1Zitieren
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Codex Buranus (München, BSB, Clm 4660), fol. 92v
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 M Namenl/92v 6 = CB 211a, L 14,38Zitieren
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