Überlieferung: Die vier Strophen sind in gleicher Ordnung im Rugge-Korpus in ABC überliefert sowie im Reinmar-Korpus in C. Die größten Abweichungen im Wortbestand und in der Wortreihenfolge weisen die Str. II und IV auf, in denen sowohl C Reinm als auch A Rugge eigene Varianten bieten. Sowohl die Liedeinheit, die Strophenordnung als auch die Dichter-Zuschreibungen wurden von der Forschung verschiedentlich diskutiert (eine Übersicht geben MF/MT im Apparat).
Auffällig sind die Überlieferungsvarianten: Während Str. I und III in allen vier Überlieferungszeugen weitgehend parallel laufen, weichen die im Reinmar-Korpus in C überlieferten Str. II und IV im Textbestand stärker von den Parallelüberlieferungen ab. Für Str. II bietet zudem A Lesarten, die gegen BCC stehen. Doch insgesamt weichen alle Strophen weder in der Form noch im Inhalt signifikant voneinander ab.
Form: .4a .2b .3-c / .4a .2b .3-c // .4a .2b .3-c .4a .4a .2x 5-c
Es liegen dreizehnversige Stollenstrophen vor. MF/MT fassen V. 2+3, 5+6, 8+9 zu je einem Vers zusammen. In C Reinm IV sowie C Rugge IV fehlt der Waisenvers, in AB ist er an den Aufgesang angereimt. In II ist der b-Reim weiblich (außer in C Reinm). Zudem reimt der b-Reim der zweiten Strophe in B sowie in C Rugge unrein. Der a-Reim der vierten Strophe wiederum ist nur in C Reinm rein. In B und C Rugge hat der c-Reim in der vierten Strophe einen identischen Reim. Darüber hinaus reimen die Waisen im Abgesang assonantisch mit dem a-Reim der jeweiligen Folgestrophe.
Auftakt in I,13. Kein Auftakt II,2 (außer in A); II,3 (außer in C Reinm); II,6; II,9 (außer in C Reinm). Überfüllt sind III,6 und IV,13.
Inhalt: Wechsel mit Natureingang. Der männliche Sprecher zeigt sich in Treue zu seiner Dame; seine Aussagen bewegen sich zwischen Klage und Hoffnung. Sie lässt ihm schließlich eine fröhliche Botschaft senden.
Str. I: Das Lied beginnt mit einem Natureingang: Die Heide ist farblos, der Schnee hat die Blumen verdrängt, die Vögel trauern – das tut derjenigen weh, der der Sprecher seine Zuneigung gerne zeigt, welche er vor den Minnefeinden verborgen hält. Aus allen Frauen würde er immer nur sie wählen. Dass der Sprecher sich selbst von dem vom Winter verursachten Leid ausnimmt, parallelisiert ihn in Bezug auf die Dame mit der kalten Jahreszeit: »Beide, der Winter und das Ich, üben eine Wirkung auf die Dame aus, jedoch eine gegensätzliche« (Lieb, S. 200).
Str. II: Im Kontrast zum Jahreszeitenwechsel aus Str. I beteuert das Ich weiter seine beständige Gesinnung: Sie findet (die Dame in BCC; in A Plural: die anderen finden) ihn immer mit beständigem Sinn (beständigem Begehren [C Reinm]). Würde sie ihm Gnade gewähren, würde der Sprecher sein Streiten lassen. Doch die Neider stimmen ihn hoffnungslos. Sie hat sein Herz bezwungen und nur sie kann es fröhlich machen. Durch das gesellschaftskritische Moment im Verweis auf die Neider wird die Falschheit der Welt mit der Minne kontrastiert, die Hoffnung auf Minne geht einher mit einer Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft (vgl. dazu auch Rudolph, S. 165–167). V. 5 in A lässt es zu, die mögliche Minnegewährung nicht nur auf die Auserwählte des Sprechers zu beziehen. So übersetzt Jackson, S. 41, V. 4–6: »By right I should give up (i. e., on faithfulness) so that love would always grant me the favor of a reward (i. e., through other women)«.
Str. III: Er bräuchte ein starkes Herz, denn er trägt so viel der kumerlichen swere (B III,3). Besser wäre es zu sterben, als diese (Minne-)Gefangenschaft zu verbergen. Er will ihr immer dienen. Die Strophe endet hoffnungsvoll mit einer Ankündigung des Sommers (»Im Zeitraffer läuft das Jahr ab, von der kahlen Heide bis hin zu den roten Blumen, die [...] in pflückbarer Nähe stehen«, Benz, S. 124) und der möglichen Erlösung durch liebe mere (B III,13) aus ihrem Munde.
Str. IV: Frauenstrophe. Sie spricht der Freude zu. Die nächsten Verse sind mehrdeutig und variieren im Überlieferungsvergleich: Er (der Geliebte) muss – wie sie – ein beständiges Herz tragen. Derjenige, der sie aus ihrem aktuellen (freudigen) Zustand herausführen kann, müsste Zauberkräfte besitzen, denn ihr (Freuden-)Gewinn würde beginnen, wenn er (der Geliebte) zu ihr käme (A) (Die im Apparat angegebene Interpunktionsvariante würde die pronominalen Bezüge variieren: Der Geliebte, der sie von ihrem aktuellen Zustand [ohne Minneerfüllung] herausführen kann, muss ein beständiges Herz tragen. Er muss Zauberkräfte besitzen, denn er kann mit seinem Kommen ihren Gewinn mehren). BC Rugge variiert: Er (der Geliebte) muss – anders als sie – ein beständiges Herz tragen. C Reinm wiederum kann meinen: Ein unbeständiges Herz, welches sie nicht hat, muss sie jagen. Oder: (Nur) ein unbeständiges Herz kann sie dorthin jagen, wo sie (jetzt) nicht ist.
Eine weitere Lesart ergibt sich, wenn man, wie MF/MT, nicht die Besserung von ich zu mich in C Reinm IV,4 zugrunde legt, sondern den ursprünglichen hsl. Text. So übersetzt Boll: »Ich sollte ein unbeständiges Herz in die Flucht schlagen; ich bin nämlich nicht so (gemeint ist unstaete)« (S. 329). Zudem wird der Gewinn in C Reinm als einer charakterisiert, der der Sprecherin niht (V. 9) gut anstehen würde (gemeint ist vermutlich der ›Gewinn‹, den sie hätte, würde sie jemand mit Zauberlist von ihrer Position abbringen). So wird die »Bejahung der Liebesbeziehung [...] in der Reinmar zugeschriebenen Frauenstrophe [...] nicht so deutlich herausgestellt wie beispielsweise in der A-Lesart« (Boll, S. 330f.). Auch Hausmann liest ich statt mich in V. 4 und hebt das variierte Frauenbild hervor, worin er ein Indiz dafür sieht, dass »der CReinmar-Schreiber die Frauenstrophe Heinrichs von Rugge inhaltlich-konzeptionell offensichtlich als ›unreinmarisch‹ empfunden hat« (S. 314).
Neben den Überlieferungsvarianten scheinen die Verständnisschwierigkeiten dieser Passage v. a. im Bezugswechsel der Pronomina begründet zu sein, die einmal auf den Geliebten (vgl. auch den Verweis auf dessen Beständigkeit in Str. III), dann auf einen Dritten zu verweisen scheinen, bevor schließlich wieder der Geliebte gemeint ist, wenn die Sprecherin am Ende der Strophe bedauert, dass der Werber nicht schon früher zu ihr gekommen ist. So gibt sie einem Boten den Auftrag, ihn um sein Kommen zu bitten (die in Str. III erwartete liebe mere?): Sie sähe ihn gerne bei sich, im Zustand der Freude.
Köhler vermutet in dem Dritten einen Minnefeind und übersetzt V. 4–7 nach A (mit anderer Interpunktion): »Derjenige müßte ein hartnäckiges Wesen (staete im Sinne von mlat. constans; herze in allgemeinerer Bedeutung) besitzen, der mich davon abbrächte (von der richtigen Gesinnung, also von der Freude), wie ich jetzt bin; er (ein feindlich gesinnter Dritter) müßte die Zauberkunst beherrschen« (S. 143f.). Benz sieht in der der Frau zugeschriebenen Unbeständigkeit in BC Rugge eine Verheißung der Liebeserfüllung: »Hier würde also angedacht, dass sich eine Frau auch mehreren Männern hingibt« (S. 122).
Sandra Hofert
A Rugge/29v/1 1 = MF 106,24Zitieren | |||
Kleine Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, UB, cpg 357), fol. 29v | |||
I | |||
A Rugge/29v/1 2 = MF 106,34Zitieren | |||
Kleine Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, UB, cpg 357), fol. 29v | |||
II | |||
A Rugge/29v/1 3 = MF 107,7Zitieren | |||
Kleine Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, UB, cpg 357), fol. 29v | |||
III | |||
A Rugge/29v/1 4 = MF 107,17Zitieren | |||
Kleine Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, UB, cpg 357), fol. 29v | |||
IV | |||