Überlieferung: Das sog. Palästinaliedgehört zu den meistüberlieferten Liedern Walthers und liegt in sechs Handschriften mit differierendem Strophenbestand vor, wobei der Liedeinsatz in allen Fassungen übereinstimmt. Das Fragment Z1 enthält dabei nicht nur den vollständigsten Textbestand, sondern auch die einzig vollständig überlieferte Melodie eines Waltherliedes.
Form: 4-a 4b .4-a 4b / 4c 4c 4c
Stollenstrophe mit dreizeiligem, monorimem Abgesang. Vereinzelt tauchen weitere Auftakte auf (etwa Z1 V,4), doch ist das Lied insgesamt sehr regelmäßig. Tongleichheit besteht zu dem Lied ›Frawe mein durch ewer gute‹ (f Namenl/101r 10).
Die Melodie beruht auf der Antiphon ›Ave regina coelorum‹ und wurde bereits von dem Troubadur Jaufre Rudel für sein Lied ›Lanquan li jorn son lonc en mai‹ (PC 262,2) verwendet. Die Notation der Melodie erfolgte in der deutschen Choralnotation, d. h. mit Verzeichnung der Tonhöhe aber ohne Hinweise auf die Rhythmik.
Inhalt: Rollenlied.
Das Lied ist wohl einem Pilger in den Mund gelegt, der angesichts seiner Ankunft im Heiligen Land an die sieben Heilstaten Christi (mysteria Christi, nativitas, baptisma, passio, sepultura, resurrectio, ascensio und dies iudicii) erinnert (vgl. Schweikle, S. 787). Fassung A, die in der Forschung als die ursprünglichste gilt (vgl. ebd., S. 789), ist sehr stringent auf die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Besitzes des Heiligen Landes hin konzipiert (A VII). Die erweiterten Fassungen wirken predigthafter. Auffällig sind die bisweilen kritischen Verweise etwa auf die weltliche Rechtspraxis: Das Trachten und Sinnen der Richter und Anwälte kann den Menschen nicht vor dem wahren Rechtsspruch Gottes bewahren. Bemerkenswert ist zudem, dass das Lied trotz des Rechtsanspruchs der Christen auf das Heilige Land keinen expliziten Aufruf zum Kreuzzug enthält. Die Forschung hat diese Bezüge jedoch immer wieder hergestellt und das Lied entsprechend auf die Jahre 1212, 1217 oder meist 1227/28 (die Zeit des fünften Kreuzzugs) datiert und als Rechtfertigung für die Palästinapolitik Friedrichs II. gedeutet (vgl. Haubrichs, S. 58).
Björn Reich