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Walther von der Vogelweide, ›Wip muͦz iemer sin der wibe hohste name‹ (A 85 86 87 88) Lied zurückDruckerTEI Icon

Kommentar

Überlieferung: Von fünf Handschriften weisen drei das Lied Walther von der Vogelweide zu (ABC), eine Reinmar (E), und zwar in einem Teil des Reinmar-Korpus in E, das neben Reinmar-Liedern Lieder unterschiedlicher Dichter versammelt und meist als Nachtrag aufgefasst wird (siehe den Korpuskommentar zu E). N tradiert eine Einzelstrophe namenlos.

C und E führen fünf­stro­phige Lieder, die im Strophenbestand übereinstimmen, sich jedoch im Hinblick auf die Reihenfolge der drei mittleren Strophen unterscheiden. A, B und N gehen nicht über den Strophenbestand von CE hinaus. A tradiert eine vier­stro­phige, B eine zwei­stro­phige Liedversion. Die erste Strophe stimmt mit CE überein, ansonsten weisen A und B eine je eigene Strophenreihenfolge auf. Die Einzelstrophe in N (wif/vrauwe-Diskussion) ist in der A-Version die letzte Strophe, in C Str. III, in E Str. IV, B führt sie nicht.

Auf Strophenebene stehen einander B, C und auch A nahe, während N und E stärker abweichen, teilweise auch formal.

Der Strophenschluss in BC II / AE III scheint in den meisten Handschriften gestört.

Form nach ABC: 13zeilige Stollenstrophe: (.)6a .5-b / (.)6a .5-b // 4c 4-d 4c 4-d 4e 4e 3-f .3-x .4-f

I,8 hat Auftakt, I,13 ohne Auftakt. A IV,13 ist überfüllt. In C V,12 ist in einer zweiten Textschicht die Waisenterzine zum Dreireim abgewandelt; als Dreireim kann auch C IV,11–13 missverstanden werden.

Die Strophenform in E ist »des öfteren aus den Fugen geraten« (so Schweikle, S. 260, der in der E-Überlieferung das Ergebnis einer nachträglichen Niederschrift aus dem Gedächtnis vermutet). Die Aufgesänge stimmen mit der ABC-Form überein, die Abgesänge sind jedoch alle unterschiedlich (vgl. ebd., S. 260f.). In Str. I fehlt dem drittletzten Vers das Reimwort, der Abgesang von E V weicht vom Reim des ABC-Schemas mit V,6 und V,12f. ab. In Str. II–IV ist der Abgesang um einen Vers gekürzt: Str. II schließt statt mit Waisenterzine mit Reim­paar, E III und IV enden zwar mit Waisenterzine, hier ist dafür der zweite Kreuzreim auf drei Verse reduziert (E III,5–7 und E IV,5–7). Die Hebungszahl wirkt teilweise freier, insbesondere in E IV,3 und E V,2.
Form der Einzelstrophe in N: 4a .5-b / 4a .5-b // 4c 4-d 4c 3-d 4-e .4-e 3-f .5-f

Inhalt: Gesellschafts- und Frauenkritik.

Str. I, die in allen Versionen das Lied mit einem Lob der vergangenen Zeit eröffnet, schließt die unfuͦge (C I,7) der Gesellschaft und das eigene Singen zusammen: Das Ich klagt, die Gesellschaft achte die minneklich minne (C I,3; A I,3: wunnecliche minne) nicht mehr, seitdem singe es selbst nicht mehr froͤidenriche (C I,2), sondern ein teil unminnekliche (C I,4). Die mit Höfischkeit und froͤide (C I,9) verbundene Hohe Minne wird als Ideal herausgestellt, wobei die fuͦge (C I,12) des angemessenen Singens darin besteht, zu wissen, wenne unde wie man singen solde (C I,13).

In C macht das Ich in Str. II für den meisten schaden (C II,1) die Frauen verantwortlich, also die Tugendinstanz der Hohen Minne schlechthin (vgl. Schweikle, S. 727), die bei den Männern (uns) nicht mehr zwischen u̍bel und guͦt (C II,3) unterscheiden, so dass die Männer selbst nicht mehr wissen: waz stet u̍bel, waz stet wol (C II,9)? Am Schluss der Strophe, der nicht nur in C, sondern auch in B und A verderbt ist, unterstreicht das Ich den Wunsch nach Unterscheidung, indem es sich an die Frauen richtet und zu bedenken gibt, dass sie gekränkt wären, würden sie von den Männern gleich behandelt.

Str. C III ist ein Lob auf das wib. Das Ich wägt die Bezeichnungen wib und frowe gegeneinander ab (vgl. Huber, S. 33f.), frowe wird dabei als äußerliche Zuordnung zum höfischen Adelsstand abgewertet, während wibheit für standesübergreifende Tugenden zu stehen scheint: wib ist der name, ders alle kroͤnet (C III,13). Die Strophe wirkt eng der Preis­strophe Reinmars So wol dir, wip, wie rein ein name! verwandt (A Reinm 35 et al.). N überliefert sie als Einzelstrophe.

Str. C IV wird in Foschung und Editionen seit Wa/La entgegen den Handschriften meist als Einstiegsstrophe behandelt. Sie ähnelt mit der Semantik der fuͦge (C IV,1) Str. I, in Str. C IV ist jedoch nicht Minne das Thema, auch wird nicht die froͤide (C I,9) favorisiert, sondern fuͦge ist hier die neutrale Anpassung des Ichs an die Gesellschaft. Das Ich hat zwei fuͦge: Dort, wo man sich freut, freut es sich mit, dort, wo man weint, lacht es ungerne. Obwohl diese Strophe anders als Str. C I das Singen nicht ausdrücklich thematisiert, sieht die Forschung in ihr häufig eine »poetologische[] Standortbestimmung« (Kasten, S. 926).

Mit Str. C V wendet sich das Ich von den uberheren (C V,13) Damen ab, die seinen Gesang nicht mit einem Gruß belohnen. Mit dieser Forderung nach Entgegenkommen endet das Lied in C (und auch E) somit als Provokation innerhalb der Hohen Minne (Kasten, S. 927, spricht von einer »Absage an die Hohe Minne«).

Die B-Version ist eine Verkürzung auf die ersten beiden Strophen in C, endet also mit der Schuldzuweisung an die Damen.

In E folgt auf Str. I (unfuͦge der Gesellschaft und eigenes Singen) die zweite Strophe mit fuͦge-Thematik (E II / C IV). Ansonsten entspricht die Reihenfolge C (E III = Frauen unterscheiden nicht zwischen guten und schlechten Männern, E IV = Lob auf das wip, E V = Abwendung von uͤberherren Damen).

Die vier­stro­phige A-Version ist ein reines Minnelied ohne die zweite fuͦge-Strophe, die generalisierend auf höfisches Verhalten abhebt. Str. A II ist die Absage an die uberheren (A II,13), Str. III wirft den Damen mangelnde Unterscheidung zwischen guten und schlechten Männern vor. Das Lied gipfelt dabei in der wip-vrouwe-Strophe, endet also entgegen den anderen Versionen nicht mit Kritik, sondern mit einem Lob der wipheit (A IV,3).

Simone Leidinger

Kommentar veröffentlicht am 29.03.2022.
Gehört zur Anthologie: Minnedidaktisches Lied
 A Wa 88 = L 48,38Zitieren
Digitalisat
Kleine Heidelberger Liederhandschrift (Heidelberg, UB, cpg 357), fol. 10v
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