Überlieferung: Das Lied ist in C vierstrophig überliefert, alle anderen Zeugen bringen lediglich die letzte Strophe, wobei jeweils der Wortlaut von C 76 mit dem von S Namenl/44ra 4 und der von I Namenl/115v 1 mit dem von I1 Namenl/1r 1 zusammengeht. In S Namenl/22ra ist nur noch der Abgesang der Str. IV erhalten, im Anschluss an S Namenl/22ra 1–3.
Form: .4a .4b / .4a .4b / .4c .4d / .4c .4d // .4e .4e .4f .4f
Kanzonenstrophe mit doppeltem Aufgesang. Auch die Zwölfzeiligkeit ist im Œuvre Walthers ein »Sonderfall«, selten sind überdies »gleichversige Töne« mit »ausschließlich männliche[n] Viertakter[n]« (Brunner, S. 219). Die Strophen sind synaphisch gebaut, C I,2 ist mit dreisilbigem Auftakt, C I,11 mit zweisilbigem zu lesen. S Namenl/44ra V. 11 und S Namenl/22ra V. 3 sind überfüllt. Hebungsprall ist für C II,10 (érbèit) und S Namenl/22ra V. 2/4 (lícht, mísdàet) anzusetzen.
Das Lied hat dieselbe Bauform wie Raimbauts de Vaqueiras No m’agrad iverns ni pascons (Nr. XXII), deren Inhalte abgesehen von der Verwendung des Naturtopos nichts gemein haben (vgl. Touber, S. 512).
Inhalt: Minnelied. Das Sänger-Ich preist in einem Natureingang die Sommerzeit, um dieser dann die Freude über die Dame überzuordnen. Str. II diskutiert, ob der Liebe oder der Tugend einer Frau der Vorrang gehört. Das Ergebnis besteht darin, dass beide Eigenschaften schätzenswert seien. Str. III stellt höheren Genuss durch eine andere, größere Freude (vielleicht erotische Liebe) in Aussicht. Derartige Freuden beschert eine treue, gute, keusche sowie sittliche Gesinnung. Derjenige, der diese erlangt hat, lobt sie zu Recht. Str. IV beginnt mit der rhetorischen Frage, wozu ein Mann gut ist, der sich nicht um eine keusche Frau bemüht. Auch wenn sie seine Werbung nicht erwidert, wird er dadurch gebessert und kann so bei anderen Frauen Wohlwollen und Freude finden. Das oder das Folgende (je nach Verständnis der V. 9f.) soll ein seliger Mann vor Augen haben, da es Glück und Ehre bringt. Als Quintessenz beschließt das Lied die sentenzhafte Aussage: Wer die Liebe einer edlen Frau besitzt, bereut jegliche falsche Handlung (V. 11f.).
Das Lied versammelt zentrale Inhalte der hohen Minne und ist daher mit anderen Liedern thematisch (z. T. auch rhetorisch-semantisch) verknüpft, etwa das in C vorausgehende C Wa 68–72, weitere Lieder der sog. ›Neunzigergruppe‹ (vgl. Bauschke, S. 248–250), C Wa 170–174 et al. (Verhältnis von liebe und schœne) und C Wa 175–178 et al. (Minnekonzeption).
Michael Lebzelter
C Wa 73 (70 [70]) = L 92,9Zitieren | |||
Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 128ra | |||
I | |||
C Wa 74 (71 [71]) = L 92,21Zitieren | |||
Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 128ra | |||
II | |||
C Wa 75 (72 [71]) = L 92,33Zitieren | |||
Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 128rb | |||
III | |||
C Wa 76 (73 [72]) = L 93,7Zitieren | |||
Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 128rb | |||
IV | |||