Autor
Ein Dichter namens ›Der tugendhafte Schreiber‹ findet sich in C zweimal: erstens als Autor eines Korpus von Minnelyrik und Sangspruchstrophen und zweitens als literarische Figur im ›Wartburgkrieg‹, in welchem er im Sängerwettstreit des ›Fürstenlob‹ für den thüringischen Landgrafen Hermann I. eintritt (dazu Krass, S. 127). Beide Male ist er auch bildlich dargestellt: Das Autorbild (fol. 305r) entzieht sich eindeutigen Interpretationen: Es zeigt den Dichter, durch Fußfesseln fixiert, im Kreis scheinbar lebhaft diskutierender Herren, während ein Diener Münzen abwiegt. Ob es sich dabei um eine Anspielung auf ein Ereignis aus dem Leben des Tugendhaften Schreibers handelt oder aber das Bild metaphorisch zu verstehen ist, bleibt unklar (Ott, S. 35f.; Walther, S. 206f.). Die dem Wartburg-Komplex zugehörige Miniatur (fol. 219v) dagegen ist unproblematisch zu deuten: Der Dichter, vergesellschaftet u. a. mit Walther, Wolfram und Reinmar, sitzt hier zur Linken des Landgrafen (Krass, S. 127, Anm. 2).
Eine Nahbeziehung zu Hermann I. von Thüringen lässt sich auch für die historische Person hinter dem ›Tugendhaften Schreiber‹ vermuten: Die legendarisch-chronikalische Tradition rund um das thüringische Herrscherhaus, die das Sujet des Sängerwettstreits auf der Wartburg rezipiert, konkretisiert den Dichter als Heinricus scriptor virtuosus (so die ›Reinhardsbrunner Chronik‹ und wahrscheinlich schon ihre [verlorene] Vorlage, die ›Vita Ludovici‹, zit. nach Hallmann, S. 309, Anm. 97, vgl. außerdem Wachinger, S. 57–60). Es erscheint daher nicht unplausibel, den Dichter mit Hermanns I. scriptor und notarius namens Heinricus gleichzusetzen, der zwischen 1208 und 1244 urkundet (Hahn, S. 128f.; Krass, S. 129; Malm, Sp. 182).
Ob der Sängername Der tuginthafte Schriber (C, fol. 305r) bzw. Der tugentscribere (M3, fol. 1ra) »auf seine Sangeskunst oder auf deren bevorzugte Inhalte zu beziehen« ist (Kornrumpf, Sp. 1138), ist nicht zu entscheiden.
Überlieferung
Die Manessische Liederhandschrift überliefert unter dem Tugendhaften Schreiber 49 Strophen, die der Grundstockschreiber AS verantwortet hat; die letzten acht Strophen sind Nachträge ebenfalls aus seiner Hand (Henkes-Zin, S. 17, 35; Salowsky, S. 425, 431). C Schreiber 45–49, ein Sangspruchbar in der Alment (s. u.), ist außerdem in der Jenaer Liederhandschrift erhalten; hier wird es dem Tonautor Stolle zugewiesen, als Textautor gilt jedoch mittlerweile der Tugendhafte Schreiber (Hahn, S. 128f.; Kornrumpf/Wachinger, S. 398; Kornrumpf, Sp. 1140). Als problematischer hat sich die Frage der Verfasserschaft dagegen im Falle von zwei Sangspruchstrophen des sog. Maastrichter Fragments (M3) erwiesen. Eine der Strophe M3 Namenl 3 vorangestellte Autornennung schreibt diese dem tugentscribere zu; allerdings wird diese Autornennung immer wieder auch auf die vorhergehende Strophe, den sog. Orpheusspruch, oder sogar auf die zwei vorhergehenden Strophen bezogen, weshalb auch diese teilweise dem Tugendhaften Schreiber zugerechnet werden (etwa bei Krass; Lommatzsch). Der Überlieferungsbefund (die Namensnennung ist auf Lücke gesetzt und mit zwei Strichen von der vorherigen Strophe abgetrennt) rechtfertigt diesen Schritt jedoch nicht (vgl. Händl, S. 454; Schanze, S. 110f. mit Anm. 16).
Werk
C Schreiber 1 bis 44 sind Minnesangstrophen; sie treten zu elf Liedern zusammen, die, mit einer Ausnahme (C Schreiber 32–35), alle drei- oder fünfstrophig sind. Die Kanzonen sind formal aufwändig gestaltet, weisen mehrfach daktylischen Rhythmus auf und sind durch häufige Responsionsreime markiert. Inhaltlich zeigt sich die Minnelyrik des Tugendhaften Schreibers durchgängig dem Konzept der Hohen Minne verpflichtet, ihr Gattungsspektrum umfasst dementsprechend die Minneklage, das Werbe- und das Frauenpreislied. Auffällig ist ihr moraldidaktischer Gestus, der die Vervollkommnung der vrouwe gerade aufgrund ihrer positiven Wirkung auf den Minnepartner (etwa C Schreiber 16–20) oder die Gesellschaft einfordert (z. B. in C Schreiber 39–41). Dabei haben einige der Lieder durchaus einen sozial- oder auch frauenkritischen Unterton (vgl. C Schreiber 29–31 zu Ersterem, C Schreiber 6–10 zu Letzterem), der in generelle Zweifel ob der Sinnhaftigkeit des Minnedienstes (C Schreiber 32–35) übergehen kann. Dementsprechend findet sich neben einem Definitionsversuch von minne (C Schreiber 21–25) zugleich auch deren Anklage als ehr- und treulos (C Schreiber 11–15). Als Sozial- und Zeitkritik lässt sich auch die Sangspruchdichtung des Tugendhaften Schreibers verstehen: C Schreiber 45–49 bzw. J Stolle 32–36, verfasst in der sog. Alment, rügt den am Hof herrschenden Opportunismus in Form einer Streitrede zwischen Gawan und Keie; M3 Namenl 3, eine Einzelstrophe in Walthers Zweitem Philippston, warnt vor jeder Form der Heuchelei.
Stephanie Seidl