Überlieferung: unikal in C.
Form: 3-a 3-a 3-a 3-a 3-a 3-a 3x
Das äquivoke Reimprinzip formt das Lied auch strophenübergreifend: I,7 reimt auf III,7 und II,7 auf IV,7. Der Auftakt ist unregelmäßig, so haben einen Auftakt I,7 (der Vers fällt auch durch die beschwerte Hebung auf), II,1, III,6 und IV,5f.
Inhalt: Pastourelle oder pastourellenartiges Lied, in dem Mehrdeutigkeiten angelegt sind und das unterschiedliche Interpretationen zulässt. Dies macht es schwierig, Überlieferungsfehler als solche zu erkennen. Schwierig ist es auch, Sprechstimmen zuzuordnen: Markiert Bartsch nach der anfänglichen Mannesrede ab II,2 durchgängig weibliche Rollenrede, stellt die Forschung seit von Kraus meist Str. II und III um und geht von einem Wechsel von männlicher und weiblicher Rollenrede aus, in Str. IV auch innerhalb der Strophe.
Ein Ritter reitet aus und begegnet einem garnwindenden Mädchen. Dabei setzt bereits Str. I Störsignale, indem konkrete Erzählelemente – vgl. zu ›Winden‹ als Gattungssignal der Pastourelle Worstbrock, S. 11f. – verschleiern, dass eine Handlung gerade nicht eindeutig auserzählt wird. Konkret ist, dass der Ritter eine spezifische Richtung einschlägt (›Winden‹), Windhunde mitnimmt, ein Mädchen uberwinden (I,5) möchte und dass dieses Mädchen Garn windet. Jedoch, von welchem konkreten Ziel will er nicht ablassen (vgl. I,1)? Denn das Mädchen ist durch den unbestimmten Artikel bezeichnet (I,5: ein maget) und die Zeitverhältnisse bleiben unklar: Will der Ritter ein bestimmtes Mädchen wiedersehen oder erblickt er zufällig ein beliebiges Mädchen? Wiederholt sich im grammatischen Reim winden (I,6) : want (I,7) schlicht das Garnwinden oder windet sich das Mädchen auch metaphorisch? Die Konstruktion Apokoinu betont, dass in I,5 Unklarheiten aufscheinen. Der Ich-Perspektive von Str. I steht eine Du-Ausrichtung von Str. II gegenüber, die Uneindeutigkeit wird abgelöst von ungebrochener Zustimmung, wenn mit Str. II, wie sie überliefert ist, die Frau den Ritter anspricht: Er sei ihr angemessen und bereite ihr Freude, kume (also schwerlich oder gar nicht) könne sie ihn aufgeben, seine Mutter möge gesegnet sein. Die Zustimmung, das Vokabular des ›hohen‹ Registers (vgl. Herweg, S. 83) und das informelle Du haben die Forschung veranlasst, die Sprecherangabe du̍ seldebere (II,1) zur Anrede zu konjizieren und die Strophe für eine Mannesstrophe zu halten. Der Ritter schmeichelt dann der (potenziellen?) Geliebten. Mit Str. III wechselt die Anrede zum formellen ir, Zustimmung schlägt um in Ablehnung, Eindeutigkeit in Andeutungen. Der Ritter solle sich erloͮben ringens uf der loͮben (III,1f.) und die Linde entweder ihr Laub bekommen oder abwerfen lassen: Der Rezipient muss ergänzen, was hier angedeutet ist. (Dieser Suggestion ist auch die Forschung nachgekommen, vgl. z. B. Uhl, S. 47f., der die Zeilen »so erklären [möchte]: Der Ritter hat sich auf der Laube einige Thätlichkeiten (ringen) gegen die Garnwinderin herausgenommen worauf diese ihm erwidert: [...] ›lasst die Linde ruhig weiter grünen, wir beide haben nichts unter derselben zu suchen; fordert mich nicht länger auf, mit euch zum Blumenbrechen unter die Linde zu kommen‹.«) Auch im weiteren Verlauf der Strophe wird mehr angedeutet als ausbuchstabiert. Der Ritter soll der Sprecherin glauben, dass er Bottenloͮben (III,5) ›eher‹ die Steinwand breche – ›als dass er zum Ziel kommt‹ muss wiederum ergänzt werden. Es ist nur eine von vielen Möglichkeiten, Bottenloͮben als Anspielung auf den »gleichzeitigen adligen Dichter« (von der Hagen, Bd. IV, S. 81) zu verstehen, das Rezeptionskalkül hinter dieser Textstelle lässt sich nicht (mehr?) sicher erschließen. Dass die Überlieferung in III,6 mit liehter statt lihter (›eher‹) wohl verderbt ist, erschwert das Verständnis zusätzlich. Die letzte Strophe treibt die Unsicherheiten der Rollenrede auf die Spitze. Die Strophe ist im Du gehalten und mündet, setzt man keine Ironie an, in die Liebeseinheit von Ritter und Mädchen. Wer vorher jedoch einen krieg [...] scheiden (IV,2f.) soll, ob dies eine konkrete Anspielung und/oder Metapher ist, wer als klug bezeichnet wird, bleibt letztlich offen. Für den Eindruck, dass auf Liedebene die »Sinnstruktur und der narrative Verlauf im Wesentlichen schlüssig und transparent« (Herweg, S. 81) verlaufen, muss der überlieferte Text vor einer gattungsspezifischen Folie verstanden und an sie angepasst werden. Die Überlieferung dieses Liedes ist vielleicht jedoch gerade Zeugnis einer abweichenden Rezeptionshaltung.
Simone Leidinger
C Neif 113 = KLD 15 XXVII 1Zitieren | |||
Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 38ra | |||
I | |||
C Neif 114 = KLD 15 XXVII 3Zitieren | |||
Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 38ra | |||
II | |||
C Neif 115 = KLD 15 XXVII 2Zitieren | |||
Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 38ra | |||
III | |||
C Neif 116 = KLD 15 XXVII 4Zitieren | |||
Große Heidelberger Liederhandschrift, Codex Manesse (Heidelberg, UB, cpg 848), fol. 38ra | |||
IV | |||