Überlieferung: Mit sechs bzw. sieben Textzeugen gehört das Lied zu den am reichsten überlieferten des deutschen Minnesangs. Es ist Teil des Reinmar-Rugge-Komplexes und typisch für dessen komplizierte Zuschreibungsproblematik: Vier bzw. drei Textzeugen führen den Text unter Reinmar (AE sowie ein- bzw. zweimal C); B aber bringt es unter Friedrich von Hausen, B2 unter Rudolf von Rotenburg, und C bietet außerdem noch eine Fassung im Korpus Heinrichs von Rugge. Ähnlich bunt sind die Verhältnisse des Strophenbestands sowie der textkritischen Unterschiede im Detail:
Kein Textzeuge umfasst alle sechs Strophen des Liedes in unmittelbarer Folge. Allerdings finden sich alle sechs Strophen in C Reinm, ohne dass ganz deutlich würde, ob sie vom Schreiber als zusammengehörig erkannt worden sind: C 160–162 und C 186f. sind mit einem Verweiszeichen aufeinander bezogen. Auf derselben Seite wie C 186f. (linke Spalte) steht auch C 193 (rechte Spalte), und vom (links ausgeworfenen) Verweiszeichen, das auf C 162 zielt, ist eine Linie abwärts und dann im rechten Winkel zum Textblock gezogen, die genau auf der Zeilenhöhe von C 193 – allerdings natürlich an der linken Spalte – auf den Textblock trifft.
Die ersten drei sowie die letzten beiden dieser Strophen aus C Reinm finden sich auch in E, dort aber in unmittelbarer Folge. Nur die ersten drei C Reinm-Strophen bieten B Hausen und B2 Rotenb; A hat die ersten beiden sowie die fünfte C Reinm-Strophe als dreistrophiges Lied. Während alle diese Textzeugen den Liedanfang (Str. I und II von C Reinm, abgesehen von A auch Str. III) gleich setzen, steht C Rugge weiter abseits; erste Strophe des nur zweistrophigen Liedes ist dort C Reinm IV (die allen übrigen Textzeugen fehlt), gefolgt von C Reinm V.
Bei so erheblicher Varianz im Strophenbestand verblüfft es, dass die Strophenreihenfolge nirgends geändert ist.
Der kritische Befund auf Textebene ist von hoher Bewegung gekennzeichnet. Einen mehr oder minder identischen Wortlaut bieten nur C Rugge und die entsprechenden Strophen in C Reinm. Sehr nahe verwandt sind außerdem B und C Reinm, mit leichten Abstrichen auch B2. Davon weiter abgesetzt ist A; die Eigenheiten der Formulierung lassen einen deutlichen redaktionellen Gestaltungswillen (sei’s aufseiten von A, sei’s aufseiten von *B2BC) erkennen. Häufig begegnen in diesen Textzeugen auch metrische Varianten, während echte ›Fehler‹ rar sind. Dies ist anders in E, die textkritisch oft vereinzelt steht und deren Text vielfach nachlässig wirkt (vgl. z. B. E IV,9 oder den Abgesang in E V).
Der Schluss des Liedes in C Reinm 193 und E V ist korrupt, es fehlt (gegenüber dem Strophenschema) jeweils ein Vers, ohne aber dass der Text davon ungrammatisch würde. In der Zusammenschau von C und E ließe sich der Strophenschluss sehr leicht rekonstruieren.
Form: Kanzone.
.4a .5b / .4a .5b // .4-c .4-c .4d .3-x+.d .5d
Das Schema kann nicht mehr als eine Näherungslösung sein. Die Abweichungen sind zahlreich; auch gibt es keinen Textzeugen, der ein in sich völlig konsistentes Bild gäbe.
Unsicher ist die metrische Deutung von V. 8. Reimpunkte in A I, B II und III, B2 passim sowie E II deuten auf eine Zäsur hin. Ursächlich dafür ist eine in ihrer Position relativ feste klingende Binnenkadenz, die freilich in der Überlieferung teils durch Wortumstellung verrückt ist (B I, C Reinm I, B2 I).
Inhalt: Minneklage. Folgt man der fünf- bzw. sechsstrophigen Fassung in C Reinm, ergibt sich grob diese Gedankenfolge: Der Prospekt auf einen leidvollen Sommer (I) lässt das Ich auf ein Gespräch mit der Geliebten hoffen (II); andere gelten ihm nichts, nur sie kann sein Leid enden (III). Die restlichen drei Strophen verschieben die Thematik hin zur Bewährung des Ichs und seinem Gesang, der Gedankengang wird dunkler: Das Ich freut sich über liebiu mære (IV,2) – die Referenz ist offen – und beteuert seine stæte (IV); es bekennt sich zum Gesang für ›Freunde‹, denkt an seine êre (was latent gegen III steht); eine Frauenstrophe fordert das Ich zur Bewährung auf (VI bzw. C Reinm 193).
Kohärent, aber auch wenig Aufsehen erregend sind die Fassungen B und B2 mit den (nach dieser Zählung) Str. I–III. Mit Abstrichen gilt dies auch für A, wo der wân (V,1) leicht auf die in II artikulierte Hoffnung bezogen werden kann. Rätselhaft ist, wie im Referat der Strophen bereits signalisiert, C Reinm. Wohl aus diesem Grund stellt MF Str. IV traditionell nach die Frauenstrophe ans Liedende: Die lieben mære würden dann auf die Aufforderung der Frau reagieren, auch schließt Str. V (analog zu A) problemlos an Str. III an, und die Frauenrede (VI,1) wiederum rekurriert auf die êre in V,9. Der Effekt der Umstellung ist so schlagend, dass man die Strophenreihenfolge in EC für korrupt zu nehmen versucht ist; dass die Überlieferung gegen Schluss des Liedes ausfranst (Strophenbestand!), gibt dem Eingriff eine gewisse Berechtigung: ABB2 enden schon davor; in C Reinm ist das Lied zwei- bzw. dreigeteilt; in E fehlt eine Strophe; C Rugge aber ist hinsichtlich seiner Gedankenfolge ein offensichtliches Fragment.
Florian Kragl